Test - Pokémon Legenden: Arceus : Test: Das beste Pokémon seit Langem
- NSw
Mit Pokémon Legenden: Arceus probiert Game Freak endlich etwas Neues mit der Marke aus. Während Gameplay, Geschichte und Schwierigkeitsgrad uns begeistert haben, fällt es schwer, die veraltete Technik hinter dem malerischen Grafikstil auszublenden. Was für ein Spiel das neue Pokémon eigentlich ist und ob es sich das Zertifikat “Breath of the Wild der Reihe” abholen darf, erfahrt ihr in unserem Test.
Eine Mischung aus Monster Hunter und Breath of the Wild - so lässt sich Pokémon Legenden: Arceus den offenbar nicht wenigen, die keine genaue Vorstellung vom neuen Spielprinzip haben, am besten beschreiben. So kurz nach Pokémon Strahlender Diamant und Leuchtende Perle erscheint schon das nächste Spiel aus der Welt der Taschenmonster und ist ebenfalls ausgerechnet an die vierte Generation angelehnt. Doch Legenden: Arceus unterscheidet sich so maßgeblich von den noch taufrischen Remakes im Speziellen und den Spielen der Kernreihe im Allgemeinen, dass der so zeitnahe Release nicht negativ ins Gewicht fällt.
Ganz im Gegenteil: Es ist genau die Art von Spiel, die etwaige Ermüdungserscheinungen lindert, unter denen die Reihe seit einiger Zeit leidet. So viel sei schon vorab verraten: So gut wie Pokémon Legenden: Arceus hat uns schon lange kein Pokémon-Spiel mehr gefallen. Wenngleich noch Luft nach oben ist ...
Willkommen in Hisui
Handlungsort ist abermals die aus Diamant und Perl bekannte Sinnoh-Region, lange Zeit, bevor sie als solche bekannt wurde. Damals noch Hisui genannt, werden wir in ein weitgehend unerforschtes Land verfrachtet, in dem die Menschen noch ein einfaches Leben führen. Die Vergangenheit der Pokémon-Welt aufzugreifen, ist ein cleverer Schachzug der Entwickler, denn sie ermöglicht eine völlig neue Sichtweise auf die uns seit einem Vierteljahrhundert bekannten Kreaturen.
Seit dem Game Boy sind uns Pikachu und Co. als mal niedliche, mal coole Knuddelmonster vertraut, die zusammen mit den Menschen leben, getauscht und in den Kampf geschickt werden können. Doch in Hisui hat die Zivilisation bisher nur wenige Berührungspunkte mit Pokémon gehabt, fürchtet sie sogar als gefährliche Ungeheuer, die wahllos angreifen.
Hier kommt der/die Protagonist/in ins Spiel. Als Teil der Galaktik-Expedition, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das bislang kaum besiedelte Hisui zu erschließen und mehr über Pokémon in Erfahrung zu bringen, versucht ihr ein Verständnis für die Kreaturen zu entwickeln und damit eine friedliche Koexistenz zu etablieren. Inmitten der Forschung gerät der Spieler in einen Konflikt zwischen den Perl- und den Diamant-Clans, die jeweils ihre eigene Version des “Ehrwürdigen Sinnoh” anbeten. Letztlich bitten sie die Expedition um Hilfe, außer Rand und Band geratene verehrte Pokémon, sogenannte Könige und Königinnen, zu beruhigen. So viel zum Aufhänger, der bereits das Spektrum an Aufgaben in Pokémon Legenden: Arceus abdeckt.
Pocket Monster Hunter
Wesentliche Elemente des Pokémon-Konzeptes sind auch im aktuellen Spiel enthalten: Das Kämpfen und Fangen sowie die Komplettierung des Pokédexes sind nach wie vor Eckpfeiler. Im Gegensatz zu einem klassischen Pokémon-Spiel ist die Struktur in Legenden: Arceus eine gänzlich andere – und zwar eine, die in einigen Punkten stark an Monster Hunter erinnert. Missionsbasiert wird der Spieler in sehr weitläufige, aber nicht miteinander verbundene Gebiete entsandt. Mal wollen die Bewohner ein bestimmtes Pokémon sehen, um sich für ihre Schneiderei inspirieren zu lassen, ein andermal geht es darum, bestimmte Ressourcen aufzutreiben. Fetch-Quests, wie man sie so schön nennt.
Eine der primären Aufgaben besteht darin, den Pokédex mit Informationen zu füllen. Ganz ungewohnt ist allerdings, dass es dazu nicht ausreicht, ein Pokémon einmalig zu fangen. Vielmehr gilt es, von Spezies zu Spezies abhängige Aufgaben zu erfüllen, um den Eintrag zu vervollständigen. Das kann ein Fang sein, ohne entdeckt zu werden, oder die Beobachtung einer bestimmten Attacke. Das harmoniert hervorragend mit dem Konzept, überhaupt erst grundlegendes Wissen über Pokémon anzuhäufen, und verleiht der Monster-Enzyklopädie spielerisch mehr Tiefe. Der zentrale Gameplay-Loop wird durch Berichterstattungen bei Professor Laven geschlossen, die wiederum in einen höheren Mitgliedsrang innerhalb der Galaktik-Expedition führt - für bessere Belohnungen und neue Missionen.
Kämpfe profitieren nun ebenfalls von mehr Tiefgang. Zuschaltbare Techniken geben einer Attacke erhöhte Priorität, schwächen sie aber ab. Umgekehrt lässt sich einem Angriff mehr Wumms verleihen, wodurch aber ein empfindlicher Nachteil in der Zugreihenfolge entstehen kann. Dass die Mechanik keine aufgesetzte Spielerei ist, erfährt man immer wieder in einigen nicht allzu einfachen Auseinandersetzungen, in denen die Abwägung zwischen Tempo und Kraft durchaus über Sieg oder Niederlage entscheidet. Der Fokus auf die Erkundung und den Pokédex rückt Kämpfe erfrischenderweise insgesamt aus dem Rampenlicht, in dem sie in der Kernreihe zweifelsohne omnipräsent stehen.
Basis-Lager, Missionen, Ressourcen-Management, Crafting und Ränge - an vielen Ecken schimmert die Monster-Hunter-Handschrift durch. Eigentlich überrascht es, dass sich die Pokémon-Reihe nicht schon längst vom Capcom-Phänomen inspirieren ließ. Denn das Universum harmoniert mit dem fremdartigen Spielkonzept außerordentlich gut.
Während völlige Freiheit darüber besteht, was als nächstes zu tun ist, führen die Story-Missionen auf eine Begegnung mit einem Boss hin. Die Königinnen und Könige genannten Pokémon bilden das Äquivalent zu den ganz großen Brocken aus Monster Hunter. Statt Pokémon-Attacken fliegen hier Ruhegaben, um die in Rage gefallenen Pokémon zu beruhigen. Es gilt, Bewegungsmuster zu erkennen und Attacken aktiv auszuweichen. Spätestens mit dem dritten Bosskampf fällt auf, dass der Schwierigkeitsgrad angenehm anzieht. Etwas, das Pokémon-Fans seit Jahren nicht mehr gewohnt sind. Game Freak hat Mut zur Herausforderung bewiesen, unerfahrenen Spielern aber eine Hintertür offen gelassen. Nach einer Niederlage besteht die Möglichkeit, den Kampf mit der bis dahin niedergerungenen Leiste des Gegners fortzufahren oder nochmal von vorne anzufangen. Anfänger und Fortgeschrittene werden damit gleichermaßen glücklich - großartig!
The Legend of Arceus: Breath of the Wild
Was sich Pokémon Legenden: Arceus glücklicherweise nicht von Monster Hunter abgeguckt hat, ist dessen dünne Handlung. Shakespeare ist freilich anderswo zu suchen, aber die Geschichte weiß durchweg zu unterhalten und reichert den Lore der Welt und legendären Pokémon mit vielen Details an, die Fans sicher lange beschäftigen. An anderen Enden hat Arceus eine weitere namhafte Inspirationsquelle herangezogen: The Legend of Zelda.
Der stark ausgeprägte Erkundungscharakter, die Sammelaufgaben, Agrar-Arbeit im Dorf und viele andere Adventure-Elemente weisen offenkundige Parallelen zu Links Reisen auf. Spätestens wenn man an Hisui-Washakwil an Klippen entlanggleitet oder auf Salmagnis’ Rücken im Sprung einen Zeitlupeneffekt beim Pokéball-Wurf auslöst, fühlt man sich sofort nach Hyrule versetzt. Dazu trägt auch die vielerorts sporadisch eingestreute Musikuntermalung bei, die Stimmungen lediglich unterstützen, nicht aber selbst generieren soll.
An das gestalterische Fingerspitzengefühl, das Breath of the Wild an den Tag gelegt hat und Neugier ganz organisch belohnte, reicht Hisui aber bei weitem nicht heran. Dafür mangelt es an echten Rätseln oder Puzzles. Dennoch gibt es zahlreiche kleinere Geheimnisse, die entdeckt werden wollen. Hier spielt die Prämisse des weitgehend unerforschten Landes Pokémon Legenden: Arceus in die Hand, denn abgesehen vom lebendigen Terrain sind echte Attraktionen in den weitläufigen Gebieten dünn gesät.
Starkes Spiel, schwächelnde Technik
Was uns zum technischen Aspekt bringt. Spielerisch kann Pokémon Legenden: Arceus in vielerlei Hinsicht punkten, und das ist bei einem guten Spiel die Hauptsache. Dennoch lässt sich nicht leugnen, wie überholt Hisui bisweilen aussieht. Zwar kann der hübsche, an Wassermalfarben erinnernde Stil von vielen Mängeln ablenken, täuscht aber leider nicht vollends über fehlende Details, matschige Texturen oder weit entfernt aufploppende Objekte hinweg. Unfreiwillig komisch wirken fliegende Pokémon, deren Animation aus (zugegeben sehr) weiter Ferne mit geschätzt drei Bildern pro Sekunde dargestellt wird. Xenoblade Chronicles oder Dragon Quest 11 haben bewiesen, dass die Switch unter ähnlichen Bedingungen zu mehr fähig ist. Solcherlei Schluderei ist zweifelsohne ein Problem von zu wenig Zeit.
Trotzdem sieht Legenden: Arceus insgesamt weitaus stimmiger und liebevoller aus als Pokémon Schwert und Schild, um diese Verbesserung klar festzuhalten! Trotz der schwachen Technik kommen wir nicht im die Feststellung umhin, dass es sich hierbei um ein mit Herzblut entwickeltes Projekt handelt, das die Reihe in eine neue Richtung führen kann und sollte. Wäre Game Freak diese Extrameile gegangen, wäre dieser Titel über jeden Zweifel erhaben, eines der besten Spiele seit dem Debüt der Marke zu sein.
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