Test - Metroid Prime Remastered : Test: Zwischen zeitlos und altbacken liegt ein Meisterwerk für die Ewigkeit
- NSw
- Wii
- GCN
20 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung auf dem Gamecube erschien Metroid Prime am 9. Februar völlig überraschend in einem sagenhaften Remaster auf der Switch. Bei 95% steht derzeit der Metascore dieses Klassikers der Spielegeschichte und empfiehlt sich daher bereits jetzt, zumindest rein rechnerisch, als gesetzter Spiel-des-Jahres-Kandidat. Zurecht?
95% Metascore für ein Spiel, das immerhin schon 20 Jahre seit seiner Erstveröffentlichung auf dem Buckel hat – geht das wirklich mit rechten Dingen zu? Oder kommt sowas eben dabei heraus, wenn die Fanboys mal wieder die Nostalgiebrille nicht abbekommen? Da jene das Spiel vermutlich eh schon unbesehen gekauft haben, haben wir für den Test jemanden daran gesetzt, der garantiert keine Nostalgiebrille aufhat, weil er Metroid Prime im Original nie gespielt hat und darum unvoreingenommen einschätzen kann, ob man es auch heute noch, ohne verklärte Erinnerungen, spielen kann. Einen wahren Noob also. Nämlich mich.
Kann man ein 20 Jahre altes Spiel heute noch spielen?
Die kurze Antwort darauf: Oh ja. Die differenzierte: Ja, aber … Die ausführliche: folgt hier. Jedenfalls habe ich schon lange nicht mehr bei einem Spiel so gestaunt, so applaudiert und so gejubelt angesichts der bahnbrechenden Ideen, der begnadeten Spieltiefe und seines zeitlosen Konzepts. Aber ich habe auch schon lange nicht mehr so geflucht angesichts haarsträubender Passagen, ermüdenden Backtrackings und mancher fürchterlich gängelnder Altbackentümelei. Doch fangen wir von vorne an.
Tatsache ist zunächst, dass Metroid Prime zweifellos eins der einflussreichsten Spiele überhaupt auf die aktuelle Spielelandschaft darstellt. Nicht nur auf die zahllosen 2D-Metroidvanias aus dem Indie-Segment, von denen jede Woche gefühlt acht Stück erscheinen. Auch der Levelaufbau großer Action-Blockbuster wie Darksiders, God of War oder Star Wars Jedi: Fallen Order basiert zu großen Teilen auf der Struktur, die Metroid Prime erstmals in 3D vorgegeben hat. Vor allem aber auch das gesamte Souls-like-Genre mit seinen verschlungenen Spielwelten, die einander durch Abkürzungen und Umwege durchdringen, wäre ohne dieses Spiel undenkbar. Ja, die erste überraschte Feststellung für mich Noob beim Spielen war: Metroid Prime ist im Grunde bereits das erste Souls-like, ganze zehn Jahre vor Dark Souls.
Es mag hochtrabend klingen, aber der Stellenwert von Metroid Prime für modernes Spieldesign kann gar nicht überschätzt werden. Nintendo begriff hier als womöglich erster Entwickler überhaupt den Sinn einer gelungenen Spielwelt, die eben nicht dazu da ist, einfach nur durchquert zu werden, sondern erkundet, vom Spieler wahrhaftig zu eigen gemacht werden will.
Unvorstellbar: Metroid Prime erschien in Deutschland ursprünglich 2003 auf dem Gamecube, im selben Jahr wie das erste Splinter Cell, Max Payne 2, Jedi Academy und Beyond Good & Evil, allesamt damals vorzügliche Spiele, die aber heute doch nur noch höchst eingeschränkt in die Zeit passen. Selbst Meilensteine wie GTA: Vice City und Knights of the Old Republic, die ebenfalls im selben Jahr erschienen und ihre jeweiligen Genres stark prägten, würden gerade deswegen heute nicht ohne tiefgreifende Änderungen im gleichen Maße funktionieren wie damals (ein Grund übrigens, warum ihre Remake-Versuche scheiterten). Und dann gab es noch Spiele wie Tomb Raider: The Angel of Darkness, Deus Ex: Invisible War und Dino Crisis 3, die ihre jeweiligen Marken beinahe ruinierten. Nintendo ging mit der Überführung der klassischen 2D-Plattformer-Reihe in die dritte Dimension dasselbe Risiko ein.
Doch wider aller Wahrscheinlichkeit wirkt Metroid in seinem Remaster so aktuell und zeitlos wie eh und je, auch deshalb, weil Spiele erst seit wenigen Jahren angefangen haben, ihm nachzueifern und „Metroidvania“ zum aktuellen Paradigma für gute Spieldesign-Philosophie erklären. Allein schon, weil es durch sein zeitintensives Backtracking die Spieldauer und damit den scheinbaren Mehrwert eines jeden Spiels automatisch mal eben vervielfacht. Vor allem aber, weil es in einer guten Ausarbeitung einen unvergleichlich emotionalen Bezug zur Spielwelt herstellt, deren Geheimnisse ihr zu entlocken einen ganz besonderen Reiz entfesselt. Vermutlich lässt sich die wahre Klasse von Metroid Prime aus der heutigen Perspektive sogar sehr viel klarer ein- und vor allem wertschätzen, als das zu seinen Lebzeiten möglich war, weil man erst heute mit dieser Art von Spiel vertraut ist und über die entsprechenden Maßstäbe für eine adäquate Einordnung verfügt.
Sensationelles Remaster
Zunächst aber ist festzustellen, dass die grafische Überarbeitung des Remakes außerordentlich vorzüglich gelungen ist. Technisch ist das alles freilich nur PS3-Niveau, doch abermals gelingt es Nintendo höchst beeindruckend, die fehlende Rechenleistung durch stilistische Raffinesse wettzumachen: Die kontrastreiche Farbsättigung und die simple Tatsache, dass die Objekte keinerlei Ecken, sondern ausschließlich abgerundete Kanten vorweisen und diese geschickt mit Gräsern und Büscheln überdecken, verleiht ihnen eine Plastizität, die die Fremdartigkeit dieser Welt regelrecht förmlich spürbar macht. Dezent schimmernde Oberflächen und sparsam, aber effektiv eingesetzte Lichteffekte tun ihr Übriges, um diesen Eindruck subtil zu verstärken. Dass Switch-Spieler nun endlich eine vernünftige Controller-Steuerung spendiert bekommen und nicht mehr das Gamecube-Gefrickel oder die Bewegungssteuerung der Wii (beide sind aber optional wählbar) erweist sich ohnehin als Segen.
In Metroid Prime stürzt Samus Aran auf einem unbekannten Planeten ab, auf dem die Weltraumpiraten in den Ruinen einer untergegangenen Zivilisation ein Material von großer Macht gefunden haben und es nun abbauen und erforschen, um damit eine neue Generation Supersoldat zu erschaffen. Und dabei ein viel größeres, titelgebendes Unheil heraufbeschwören ... Wie Dark Souls, das sich ganz augenscheinlich in vielerlei Hinsicht stark von Metroid Prime inspirieren ließ, hält sich das Spiel mit dem Erzählen seiner Geschichte behutsam zurück, sodass man lange Zeit gar nicht so recht bemerkt, dass es überhaupt eine gibt. Zu Anfang ist es vor allem die Spielwelt selbst, die mit der Anwesenheit von eingestürzten Tempeln, rätselhaften Statuen und entmenschlichten Forschungslaboren auf ein Geschehen hindeutet, das sich erst nach und nach zu einer Handlung zusammensetzt. Keine sonderlich vielschichtige, zugegeben, aber doch eine, die ihm ein verwunschenes Mysterium einschreibt, das zu lüften die Mühen wert scheint.
Eine bahnbrechende Spielwelt
Alles in diesem Spiel, eben auch die Geschichte, dreht sich um seine Spielwelt, die sämtliche Bestandteile miteinander verwebt und in sich zusammenhält. Das gesamte Spielerlebnis basiert darauf, sich diese Welt Stück für Stück zu erschließen, ihr die Geheimnisse regelrecht abzutrotzen, und der gesamte Sinn seines Spieldesigns besteht darin, all dem eine Struktur und eine Form zu verleihen: die saftig grünen Dschungel der Planetenoberfläche, die feurigen Lavahöhlen darunter, die garstige Eiswelt und schließlich die Minen, in denen die Piraten ihre grausigen Experimente anstellen. Allesamt pures Videospiel-Klischee, zweifellos, doch so rein und unschuldig, dass man selbst die Klischees in diesem Spiel wahrnimmt, als sähe man sie zum allerersten Mal im Leben.
„Metroidvania“, diese Genre-Wortschöpfung aus den Spielen Metroid und Castlevania, die diese Form des Levelaufbaus etablierten, basiert darauf, dass ihr eine zunächst linear scheinende Spielwelt erkundet, die sich mal hier gabelt und dort in eine Sackgasse mündet, an der es vorerst nicht weitergeht: eine verschlossene Tür, ein unüberwindbarer Graben, ein vereister Durchgang. Erst wenn ihr für die Tür den farblich passenden Laserstrahl, den Greifhaken für den Abgrund oder den Flammenwerfer für die Eiswand gefunden habt, könnt ihr dorthin zurück und an dieser Stelle weiter, wofür euch das Spiel geschickte Abkürzungen zur Verfügung stellt, wenn es schlau gemacht ist.
Und doch in etlichen Punkten altbacken
Metroid Prime ist in vielerlei Hinsicht sensationell gemacht, sodass ich kaum glauben kann, dass es schon 20 Jahre alt ist. An anderer Stelle wiederum hält es einem sein Alter ständig in penetrantester Form unter die Nase. Allem voran beim Speichersystem. Gespeichert werden kann nämlich nur in dafür vorgesehenen Räumen. Das wäre nicht schlimm, wenn diese entgegenkommender in der Spielwelt verteilt wären. Doch nicht selten liegen sie weit auseinander, weswegen im Falle des Ablebens schon mal 10 Minuten Fortschritt, mitunter sogar bis zu 30 verloren gehen können.
Insbesondere von den Bosskämpfen liegen die Speicherräume auffallend weit entfernt, weswegen man den lästigen Weg dorthin in jedem Versuch erneut zurücklegen muss – was umso schwerer wiegt, da man bei vielen Bossen erstmal ein paar Versuche benötigt, um überhaupt herauszufinden, was man tun muss, um sie besiegen zu können. Da man selbst kleine Fortschritte wie eingesammelte Gegenstände oder Story-Einträge verliert, verhält sich das Prozedere nervenaufrebender als in manchem Souls-like, mit der Ausnahme, dass es dort Methode war, hier lediglich haarsträubendes Spieldesign.
Ach ja, und beenden sollte man das Spiel natürlich auch nur dann, wenn man gerade in einem Speicherraum ist, ansonsten sind mehrere Minuten Fortschritt schonmal futsch. Leider kann auch der Schwierigkeitsgrad nur beim Start des Spiels gewählt, währenddessen aber nicht mehr geändert werden. Doch keine Sorge: sonderlich schwer ist Metroid Prime ohnehin nicht, insgesamt gesehen eigentlich recht einfach, nur eben an manchen Stellen unerklärlich pisakend.
Dann das ausufernde Backtracking: Heutzutage gehen Metroidvania-Entwickler höchst geschickt darin vor, ihre Spielwelten architektonisch dergestalt zu entwerfen, dass sie später mit der richtigen Ausrüstung so ineinander verflochten sind, dass sich große Laufwege in den zahlreichen Abkürzungen verflüchtigen. Selbst einem B-Titel wie Steelrising gelang das letztens erst höchst gewitzt. Metroid Prime hingegen gängelt den Spieler mit regelmäßigem kompletten Durchqueren der Spielwelt, weil man gerade wieder einen Gegenstand erhalten hat, der nun am anderen Ende zum Einsatz kommen muss.
An dieser Stelle sei jedem Anfänger geraten, sich Notizen zu machen, da man sonst sehr schnell den Überblick verliert, wo noch irgendwas sehr viel später zu tun ist. Auch so etwas, das heute altbacken wirkt: Das Spiel nimmt euch nur höchst zurückhaltend an die Hand. Wenn ihr Pech habt oder zu sorglos vorgeht, lässt es euch komplett im Regen stehen. Aber auch das zeichnet es letztendlich aus: Denn auf der Habenseite verstärkt dieser Umstand die emotionale Bindung zur Spielwelt ins schier Unermessliche, weil man sie irgendwann wie die sprichwörtliche Westentasche zu kennen meint.
Auf den ersten Blick altbacken, aber dennoch unvergleichlich clever fällt ihre Unterteilung in einzelne „Räume“ aus. Mit jedem kleinen Fortschritt erschließt ihr euch einen weiteren Abschnitt, in dem irgendeine Art von Aufgabe auf euch wartet: ein kleines Rätsel, eine Ballerei gegen die höchst unterschiedlichen Gegner oder eine Sprungpassage. Denn im spielerischen Kern ist Metroid Prime zunächst einmal ein Shooter mit hohem Geschicklichkeitsanteil. Und auch das wirkt einerseits zunächst höchst unzeitgemäß, funktioniert aber dennoch blendend: Jump-n-Run-Passagen in einem Shooter … also mal ehrlich, sowas macht man heutzutage einfach nicht mehr, fällt in Metroid Prime aber kaum negativ auf.
Dennoch bin ich der Überzeugung: Würde das Spiel dieser Tage entwickelt, es würde von vornherein nicht in Ego- sondern moderner Third-Person-Perspektive konzipiert, die für akrobatische Sprünge über Plattformen einfach deutlich besser geeignet ist. Vielleicht ist das auch einer der Gründe für die endlosen Verschiebungen von Metroid Prime 4: weil diese Art von Spiel nur schwer in die Moderne verrückt werden kann, ohne dabei ein paar seiner Grundpfeiler einzustürzen, auf die die Fans aber beharren. Ein deutlicher Hinweis in diese Richtung: Metroid Prime unterstützt das Zielen mit einer Lock-on-Funktion, wie sie für Shooter ganz und gar unüblich ist – aber hier absolut vortrefflich und beeindruckend durchdacht ausfällt.
Auch der Einsatz von Musik, die ungeachtet der aktuellen Situation ihre meist simple, oft ziemlich schräge Melodie stur durchdudelt, fällt so herzzerreißend altbacken aus, dass man es in nostalgisch umbenennen muss und gar nicht anders als lieben kann. Während ich das schreibe, muss ich kurz kontrollieren, ob ich nicht versehentlich doch die Nostalgiebrille aufhabe, die ich gar nicht besitze, weil ich ja als offizieller Nicht-Fanboy der Gameswelt-Redaktion das Original nie gespielt habe. Aber irgendwann wird es unmöglich, sich emotional nicht dieser Meisterleistung an Spieldesign willenlos hinzugeben. Metroid Prime ist jedenfalls eine ständige Achterbahn der Gefühle, die andauernd von Ehrfurcht und Verehrung zu Frust und Zermürbung ausschlägt. Aber eben auch immer wieder zurück.
Zwischen der ständigen Begeisterung über das einfallsreiche Spieldesign und seine ganz und gar zeitlose Umsetzung, entfuhr mir jedenfalls nicht selten der Fluch „Das kann doch jetzt nicht euer Ernst sein!?“ in Richtung der Entwickler. Dieser endlos scheinende Marsch durch die Phazon-Minen ohne einen Speicherpunkt, der fürchterlich plumpe Kampf gegen den Omegapiraten, diese ätzende Sprungpassage vor dem finalen Metroid, die ständigen Begegnungen mit den Chozo-Geistern, manch Rätsel, auf dessen Lösung mich erst unser ebenfalls 20 Jahre alter Metroid Prime Guide hinweisen musste … Regelmäßig konnte ich schlicht nicht glauben, dass Entwickler, die über die Genialität verfügen, sich ein derartiges Spielkonzept zu überlegen, sich so einen nervigen Stuss ausdenken. Aber egal, denn abermals wie bei den modernen Formulierungen dieser Spielegattung, den Souls-likes, kehrt sich jede spröde Phase und jede Verzweiflung nachher in der Erinnerung in ihr Gegenteil, wenn der Frust von der Gewissheit über den erhabenen Moment überlagert wird, schlussendlich triumphiert zu haben.
>> Meilensteine des Hype-Genres: Die 10 besten Metroidvanias <<
Wenn ihr jetzt das Gefühl habt, zu wenig über das Spiel erfahren zu haben, welche Waffen und Ausrüstung es gibt, welche Gegner und Rätsel auf euch warten, ob die Steuerung gut von der Hand geht (tut sie) und was es mit dem Morph-Ball auf sich hat, dann freut euch: denn all das könnt ihr jetzt selbst herausfinden. Für 95% Metascore braucht man vermutlich in der Tat eine funktionstüchtige Nostalgiebrille. Die liefert das Spiel aber kostenfrei mit. Denn jeder sollte diesen bahnbrechenden Klassiker der Spielegeschichte gespielt haben und Zeuge werden, wie er Schritt für Schritt vom Noob zum verklärten Fanboy bekehrt wird
Kommentarezum Artikel