Test - Martha is Dead : Atmosphärischer Horror im Zweiten Weltkrieg
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Mordfall, doppeltes Lottchen, Kriegs- und Familiendrama, paranormaler Horror und irgendwie noch ein wenig Fotosimulation. Martha is Dead erzählt eine eindringliche Geschichte, verliert sich aber letzten Endes in zu vielen Ideen. Unser Test hinterlässt uns zwiegespalten.
Martha ist tot, es lebe Martha! Toskana, 1944. Während der Krieg in Italien tobt, findet Giulia K., die Tochter eines deutschen Soldaten, beim Fotografieren am See in der Nähe ihres Hauses den leblosen Körper ihrer tauben Zwillingsschwester Martha im Wasser. Schnell stößt die Mutter, die Martha stets mehr liebte als Giulia, zum Ort des Geschehens hinzu. Davon ausgehend, dass es sich bei der Leiche um die ihr verhasste Giulia handelt, gibt sich der noch lebende Zwilling im Affekt als Martha aus, um zum ersten Mal die Liebe und Aufmerksamkeit zu erfahren, die ihr nie zuteil wurde. Giulia nimmt Marthas Identität an und versucht in ihrer neuen Rolle den Tod ihrer Schwester aufzuklären.
An diesem Punkt hat das Florenzer Studio LKA, das mit The Town of Light Erfahrung mit die Psyche erforschenden Handlungen gesammelt hat, bereits einen soliden Aufhänger. Doch die klassische Geschichte vom vertauschten Zwilling, der lieblosen Mutter und des damit vorprogrammierten Familiendramas inmitten des Zweiten Weltkrieges reicht dem Studio nicht. LKA will mit Martha is Dead mehr. Viel mehr - und verwässert damit seine eigenen Stärken.
Weniger ist mehr
Grundsätzlich ist Martha is Dead ein Walking-Simulator. Aus Giulias Perspektive erkundet ihr das toskanische Anwesen und die nähere Umgebung, interagiert mit Objekten, sammelt Schlüssel, um neue Bereiche zu erschließen und deckt so nach und nach immer neue Hinweise auf. Eine besondere Rolle nimmt Giulias alte Rollei-Kamera ein. Indem sie wichtige Objekte und Orte fotografiert, setzt sie ihr Verständnis schicksalhafter Ereignisse zusammen. Die Einstellungsmöglichkeiten reichen so weit, dass Martha is Dead bisweilen an eine Fotografie-Simulation erinnert. Fokus, ISO-Wert, Filter, Blitz, all diese Dinge lassen sich festlegen, wobei nur wenige von ihnen wirklich für das Vorankommen notwendig sind. Anschließend müssen die Aufnahmen in der Dunkelkammer in ähnlich simulativer Weise belichtet und entwickelt werden.
Der anfänglich interessante Prozess verliert aufgrund seiner manuellen und redundanten Natur jedoch schnell an Reiz. Immer wieder muss Giulia in ihrer trägen Laufgeschwindigkeit lange Wege in die Dunkelkammer zurücklegen, um neue Handlungsereignisse auszulösen. Zusätzlich webt Martha is Dead das übernatürliche Element um die Folklore der “Weißen Frau” ein, einem Gespenst, das vor langer Zeit in einer Liebesverstrickung starb und seither im See spukt.
Übernatürliche Hinweise lassen sich mittels Infrarotfilter auf Bild festhalten. So wird ein Narrativ aufgebaut, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Übernatürlichem verschwimmen sollen, obgleich durch die sehr realitätsnahe Erzählweise fast immer klar erkennbar ist, welche und vor allem dass diese Ereignisse eigentlich nur Giulias Fantasie entspringen. Das nimmt den geisterhaften Elementen den Wind aus den Segeln.
Vom Mord an ihrer Schwester, den Schuldgefühlen in Folge des Identitätsdiebstahls, der Besessenheit von der Geschichte der Weißen Frau und der beklemmenden Stimmung des Krieges geplagt, wird Giulia von teils äußerst drastisch dargestellten Albträumen heimgesucht. Martha is Dead streut einige Gewaltspitzen ein, die nichts für zarte Gemüter sind.
Einige dieser Albträume sind jedoch auch interaktiver Natur. In ihnen läuft Giulia automatisch durch einen düsteren Wald und muss sich alle paar Meter für eine Abzweigung entscheiden, die stellvertretend für einen Satzbaustein stehen. Dem Spieler ist dabei überlassen, welche er wählt. Letzten Endes gibt es lediglich eine richtige Lösung. Zum Ziel führt nur die Trial-and-Error-Methode. In wieder anderen Momenten hält eine Marionettenpuppe des Sensenmannes ohne Vorwarnung einen längeren Monolog, ohne dass dieser abrupte Stilwechsel (für lange Zeit) in Kontext gestellt wird.
Parallel unternimmt LKA den Versuch, die Rolle der Familie im Zweiten Weltkrieg zu etablieren: der Vater, ein deutscher Soldat, der aber den Krieg verachtet, und Giulia, die zur Spionin wird. Durch all diese vielen verschiedenen Elemente auf die vergleichsweise kurze Spielzeit projiziert, gibt sich Martha is Dead dem reinen Selbstzweck verworren und verstrickt, ist gerade durch die aufgebaute Erwartungshaltung, nichts ist, wie es scheint, über weite Erzählstränge so vorhersehbar wie ein Pixi-Büchlein. Die Intention liegt darin, Giulias durch Vernachlässigung, Misshandlung und Trauma in Mitleidenschaft gezogene Psyche zu verbildlichen. Die Bruchstücke wurden allerdings nicht sonderlich elegant kombiniert.
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Euch kamen die letzten Absätze inhaltlich wirr vor? Uns ging es ähnlich. Man kommt nicht umhin, dem trotz allem kurzweiligen Titel zu viele Ideen für ein einzelnes kurzes Spiel zu attestieren. Martha is Dead will alles sein, meistert aber keines dieser Elemente in herausragender Weise: Familiendrama, Detektiv-Krimi, paranormaler Thriller, eine düstere Version des doppelten Lottchens, Fotografie-Simulation und dabei aber vor allem eines: ein Ausflug in Giulias Geisteszustand. Ein bis zwei dieser Elemente gestrichen, hätten dem Spielfluss bereits zu einer klareren Linie verholfen.
Martha ist trotzdem gut
Trotzdem zieht Martha is Dead in seinen Bann. Denn weitgehend jedes der spielerischen und stilistischen Elemente für sich betrachtet besitzt seinen Reiz, nur wirkt ihr Zusammenspiel forciert. Besonders gelungen ist die surreale Stimmung, die aus dem Kontrast aus der wunderschönen mediterranen Umgebung mit den düsteren Ereignissen resultiert. Eine sonnenverwöhnte Wiese voller Mohnblumen zu überqueren, während am Himmel eine Flugstaffel vorüberknattert, erzeugt gerade durch den Kontrast von Urlaubsflair und Kriegskulisse ein stets latentes Unbehagen.
Leider leidet diese Atmosphäre unter den durch ein kleines Studio bedingten Einschränkungen. Vor allem in den Außenbereichen trüben sehr matschige Texturen die Aussicht in der von uns getesteten PS4-Version erheblich. Insbesondere ärgerlich ist dieser Umstand, da er sich negativ auf einige Aufgabenlösungen auswirkt. Verwaschene Buchstabenkombinationen in einem Morse-Rätsel zu entziffern oder Telefonnummern von einem zu allem Überfluss auch noch schlecht ausgeleuchteten Notizzettel abzulesen, bereitete uns geradezu Kopfschmerzen.
Ebenso trägt die Vertonung zu Martha is Deads Atmosphäre bei. Ihr solltet in jedem Fall mit italienischer Synchronisation spielen. In der hervorragend eingesprochenen Landessprache des Schauplatzes wird das Szenario sehr viel authentischer in Szene gesetzt. Wer der Sprache jedoch nicht mächtig ist, ist auf die mit unzähligen Tippfehlern gespickte Untertitelung angewiesen. Alternativ auf die ebenfalls gute deutsche Vertonung zurückzugreifen, bedeutet jedoch, mit stellenweise derzeit noch fehlenden Audio-Files leben zu müssen.
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