Test - Itorah : Wunderschön und doch kein Highlight
- PC
Manche Genres nutzen sich nicht ab. Rennspiele zum Beispiel setzen weniger auf spielmechanischen Charme und mehr auf ein Leistungsprinzip: Veränderte Rahmenbedingungen wie Reifenhaftung oder Beschleunigung entfachen stets aufs Neue die Lust, die eigenen Rundenzeiten zu verbessern. Dagegen müssen sich andere Genres in gewissen Abständen neu erfinden, um für Frische zu sorgen. Aber genau das ist bei Itorah der Knackpunkt.
Es gab eine Zeit, in der Indie-Games kleine Projekte waren, die von ihrer Idee lebten und gelegentlich Konsequenz einer Frage waren. Zum Beispiel der Frage, wie man ein umfassendes Geschicklichkeitsspiel in 50 Megabyte quetscht, sodass es in die Sammlung Xbox Live Arcade der Xbox 360 aufgenommen werden kann. Noch ein paar Jahre zuvor waren solche Titel kaum mehr als Hinterhofprojekte gelangweilter Codeschubser.
Inzwischen hat die Indie-Szene jedoch ein Niveau erreicht, das dem der 8- und 16-Bit-Pioniere vor 30 Jahren gleicht. Kleine Teams veröffentlichen mitunter Meisterwerke wie Shovel Knight, Inscryption oder Tunic, die nicht nur optisch auf Hochglanz geschliffen sind, sondern auch spielerisch so mancher AAA-Produktion das Wasser abgraben.
Gute Voraussetzungen
Itorah möchte so ein aufsehenerregendes Indie-Spiel sein. Und wenn man die Grafik dieses Metroidvanias als Hauptkriterium heranzieht, geht das Vorhaben auch voll auf. Es sieht mit seinen fein gezeichneten Spielfiguren und den farbenfrohen, aber wohlüberlegt abgestimmten Hintergrundzeichnungen wahnsinnig gut aus. Geschickt aufgereihte Parallax-Ebenen, die eine täuschend echte dreidimensionale Tiefe erzeugen, verleihen der Präsentation das gewisse Etwas.
Manch einer könnte sich an den leicht hakelig wirkenden Animation der Hauptfigur stören. Anstelle von flüssigen Bewegungen kommen hier Keyframe-Animationen zum Einsatz, die vollständig animierte Arme und Beine lediglich vortäuschen. Aber das ist Geschmackssache, denn dieses Stilmittel ist legitim und erinnert auf charmante Weise an klassische 8- und 16-Bit-Sprites. Doch damit nicht genug der Retro-Gepflogenheiten. Niedliches Gebrabbel anstelle von Sprachausgabe und ein neunmalkluger Sidekick in Form einer sprechenden Axt klingen ganz nach der Aufmachung alter Schinken vom Schlag eines Banjo Kazooie.
Auf den ersten Blick bringt Itorah also alles mit, was ein Metroidvania alter Schule haben muss. Darunter ist sogar eine Geschichte mit Potenzial. Die namensgebende Heldin ist laut den Vermutungen der tierischen Bewohner eines Fantasie-Landes die letzte Vertreterin der menschlichen Rasse. Sie muss es mit einer Krankheit aufnehmen, die nur „Die Plage“ genannt wird, alle Landstriche heimsucht und deren Bewohner in wilde Bestien verwandelt.
Aber wieso? Seit wann? Wie schlimm ist es? Und wie kann man das Unglück bekämpfen? Zusammen mit ihrer sprechenden Axt macht sich die stumme und manchmal etwas finster dreinschauende Heldin auf die Suche nach Antworten. Dabei erforscht sie ein Geflecht aus Pfaden, die in Metroidvania-Tradition teils von Hindernissen versperrt werden. Erst mit den richtigen Talenten ist ein Weiterkommen möglich: Itorah lernt, wie sie große Steinblöcke halbiert, einen Doppelsprung ausführt, ihre Axt wirft oder damit auf stachligem Boden aufsetzt, ohne ihre nackten Füße zu verletzen.
Da fehlt doch etwas
Dumm ist nur, dass es Itorah dort, wo es am meisten zählt, an einem eigenen Stil mangelt: beim Spielablauf. Obwohl durchaus spaßig zusammengesetzt, will der Funke nicht überspringen. Denn stets herrscht das Gefühl vor, auf ausgetrampelten Pfaden zu wandeln. Wenn das Spiel selbst keinen Hehl daraus macht, nichts Weltbewegendes erzählen zu können, schrumpft die Motivation zum Durchspielen rapide. Egal wie sympathisch die Heldin rüberkommt, egal wie nett der eine oder andere Kalauer ihrer Axt ist: Wenn am Ende nur Nullachtfünfzehn-Stoff vermittelt wird, bleibt das Vergnügen auf der Strecke.
Alle Antworten auf die Fragen ihrer Mission sind austauschbar und somit wenig inspirierend. Ein Spannungsbogen existiert nicht, im Gegenteil: Selbst bei Unterhaltungen mit befreundeten Dorfbewohnern entsteht der Eindruck, jede noch so kleine Information aus ihren Nasenlöchern herauspulen zu müssen. Zu sagen, die Geschichte sei zeitweise schleppend erzählt, wäre geschmeichelt.
Schlimmer ist aber, dass das auch auf den Spielinhalt zutrifft. Dabei sei noch einmal betont, dass Itorah handwerklich im Grunde keine Fehler macht. Man haut mit Combos zu, wirft die Axt, führt Doppelsprünge aus und so weiter. Anhand taktischer Vorgaben und Geschicklichkeitstests versuchen die Entwickler zudem, ihrem Konstrukt Abwechslung einzuflößen. Warum fehlt es trotzdem an Esprit und Eigengeschmack?
Vielleicht lässt sich das an einem Beispiel verdeutlichen. Itorah springt geschwind von Plattform zu Plattform, ohne merkliche Verzögerung bei den Joypad-Eingaben, Aber aus irgendeinem Grund fühlt sich der Sprung einen Hauch zu steif an. Ab und zu verpasst man das Aufsetzen auf einem Untergrund, der nicht viel größer ist als Itorahs Stand, und weiß nicht so recht warum.
Es gibt Spiele, die einem das Hüpfen absichtlich schwer machen, sei es durch Unbeweglichkeit in der Luft oder verzögertes Abspringen. Das ist hier nicht der Fall. Und doch fühlt es sich nicht rund und selbstverständlich an. Man kann nie richtig ins Geschehen eintauchen, weil bei kleineren Plattformen stets die Angst mitschwingt, daneben zu hüpfen. Und das, obwohl 95 Prozent der Sprünge glattgehen.
Das Besiegen eines Endgegners erfordert ein wenig Taktik, aber niemals einen genialen Gedanken oder ein besonders flinkes Händchen. Genauso gibt es keine Gegner in der Oberwelt, deren Verhaltensweisen in irgendeiner Form Aufsehen erregen würden. Auch Nebenfiguren lassen das letzte Quäntchen Charme und Verspieltheit vermissen. Nennt es Genauigkeit, Leichtigkeit, Schliff oder wie auch immer, aber Itorah geht etwas ab.
In seiner kompletten Spielstruktur folgt es dem Metroidvania-Rezept bis auf die letzte Zutat genau und erschafft dabei nichts, was man nicht schon etliche Male gesehen hätte. Andere Studios bauen beispielsweise Soulslike-Elemente ein, um für einen gewissen Pfiff zu sorgen. Doch Itorah verzichtet auf jegliches Wagnis oder einen Schuss Exzentrik und verpasst damit leider die Chance, eine eigene Duftmarke zu setzen.
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