Test - Horizon: Call of the Mountain : Der Vorzeigetitel für Playstation VR 2 im Test
- PS5
Playstation VR 2 ist da. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir uns ausführlich mit der Hardware und den verfügbaren Spielen beschäftigen. Den Auftakt macht das Aushängespiel der neuen Generation VR-Gaming: Sonys Horizon-Ableger Call of the Mountain. Ist das der System-Seller für PSVR2?
Bevor wir uns Horizon: Call of the Mountain zuwenden, werfen wir einen kurzen Blick auf Playstation VR 2. Einen ausführlichen Test der Virtual-Reality-Brille liefern wir euch nächste Woche nach, und morgen wird euch Felix in der aktuellen Ausgabe von Insert Coin einen Überblick über die Hardware und die wichtigsten Spiele geben.
Playstation VR 2 ist in vielfacher Hinsicht mehr als überfällig für ein zeitgemäßes VR-Erlebnis. Allein schon wegen der alles andere als optimalen Steuerungslösung über die Move-Controller von PSVR1: Eine mangelhafte Präzision und vor allem das Fehlen von Analogsticks zur flüssigen Bewegung in der virtuellen Realität legten der immersiven Erfahrung hinderliche Stolpersteine in den Weg. Auch können Spiele für PSVR2 endlich die volle Grafikpower der PS5 nutzen, was der Größe, Schönheit und Authentizität der Spielwelten gehörig zuträglich sein wird. Wie das in Zukunft aussehen kann, führt Horizon: Call of the Mountain eindrücklich vor Augen.
Neben den verbesserten technischen Spezifikationen, denen sich unser Hardware-Test nächste Woche im Detail widmen wird, fällt als Erstes vor allem der stark gesteigerte Komfort in der Handhabung des PSVR2-Headset auf. Es erfordert keine Prozessor-Einheit mehr, die in umständlicher Verkabelung das HDMI-Signal zwischen Fernseher und Brille aufspaltet. Auch die Playstation-Kamera ist für den Betrieb nicht mehr nötig. Das Headset wird ganz einfach per USB an die Front-Buchse der PS5 angeschlossen – fertig, und schon kann’s losgehen.
Auch die Möglichkeit, sich auf Knopfdruck über die eingebauten Kameras die Umgebung anzeigen zu lassen, wie es bei modernen Konkurrenzprodukten mittlerweile Standard ist, stellt eine immense Erleichterung dar, wenn man mal eben den Controller oder die Fernbedienung neben sich auf der Couch nicht umständlich ertasten oder dafür jedes Mal die Brille absetzen muss. Wer zeitgemäßes Virtual Reality auf seiner PS5 erleben möchte, kommt um PSVR2 nicht herum.
Horizon: Call of the Mountain – worum geht’s?
Zunächst einmal das Wichtigste: Horizon: Call of the Mountain ist kein grenzenloses Open-World-Abenteuer wie seine Vorgänger. Stattdessen handelt es sich um ein linear inszeniertes Action-Adventure, dessen Spielablauf sich aus hauptsächlich drei Komponenten zusammensetzt: Kletterpartien in schwindelerregenden Höhen, Durchwandern der Spielwelt auf der Suche nach Bastelkomponenten für eure Ausrüstung und schließlich natürlich Kämpfe mit Pfeil und Bogen gegen die wundersamen Maschinenwesen.
Auch spielt ihr in Call of the Mountain nicht mehr Heldin Aloy, die nur einen sehr kurzen Gastauftritt hat. Stattdessen schlüpft ihr in die Rolle von Schatten-Carja-Krieger Ryas, der sich im Auftrag des Sonnenreiches auf die Suche nach seinem verschollenen Bruder macht. Wie sich schon bald herausstellt, war dieser den finsteren Machenschaften eines machthungrigen Stammes auf der Spur, der mithilfe einer Maschinenarmee die Kontrolle über das Tal an sich reißen will.
Der Berg groovt
Wer die Horizon-Reihe bislang als fulminantes Open-World-Abenteuer voller Action, Rätsel und Erkundung kannte, der dürfte zunächst überrascht sein, dass es sich bei Call of the Mountain im Grunde um ein Bergsteiger-Spiel handelt. Die überwiegende Zeit, geschätzt etwa drei Viertel des Spiels, klettert ihr an Steilwänden, rostigen Stahlträgern verfallener Gebäuderuinen und den Gerippen zerstörter Maschinenwesen empor. Dies läuft ähnlich ab, wie man es schon aus diversen VR-Spielen kennt, allen voran natürlich The Climb von Crytek. Ihr greift mit eurer Hand nach Felsvorsprüngen und Metallstreben und hangelt euch so Armlänge für Armlänge dem Ziel entgegen, während ihr für Umstehende vermutlich so ausseht, als würdet ihr die Luftmoleküle im Raum nach ihrer Größe sortieren.
Nach und nach schaltet ihr hierfür zusätzliche Kletterausrüstung frei, die euch in immer unwegsameres Gebiet bringt: mit einem Wurfhaken schwingt ihr über Abgründe, eine Seilwinde spannt Ziplines in luftigen Höhen und mit den Spitzhacken kraxelt ihr an massiven Steilwänden empor, indem ihr sie in den massiven Fels rammt und euch Stück für Stück daran emporzieht. Vor allem die Kombination dieser Klettertechniken hinterlässt in VR ihren Eindruck: Wenn ihr zunächst an einem Seil über eine Schlucht schwingt, dann mehrere Meter durch die Luft stürzt und schließlich mit beiden Armen ausholt, um die Spitzhacken in die gegenüberliegende Felswand zu rammen, fühlt sich das schon ziemlich cool an.
Dass Horizon: Call of the Mountain ausgerechnet diesen Aspekt seines Gameplays in den Fokus rückt, mag zunächst befremdlich wirken, fällt aber letztlich nur konsequent aus, ist VR doch vor allem auch ein körperlich immersives Erlebnis, das insbesondere von der Haptik der Controller lebt. Die Fortbewegung im wahrsten Wortsinne in die Hände zu legen, scheint daher nur folgerichtig. Selbst das normale Gehen lässt sich rein über Gesten steuern, indem ihr die Arme auf und ab bewegt, als würdet ihr rennen – was ich allerdings nach kürzester Zeit durch die traditionelle Methode über den Analogstick ersetzt habe. Spielerisch fällt die Konzentration auf die reine Bewegung allerdings auch reichlich seicht und einfallslos aus, was Call of the Mountain über weite Strecken die Anmutung eines Walking-Simulators verleiht – nur halt mit Climbing statt Walking.
Robin Hood der Postapokalypse
Für die spielerischen Höhepunkte sorgen vielmehr die Kämpfe gegen die Maschinenmonster, die zwar nur verhältnismäßig selten auftreten, grob geschätzt etwa einer pro Stunde, was aber eine sinnvolle Frequenz darstellt, da sie sich als körperlich durchaus schweißtreibend erweisen. Ihr führt dabei nämlich euren Bogen (später auch eine Steinschleuder) mit den VR-Controllern, als hieltet ihr einen echten in Händen, legt einen Pfeil ein, spannt die Sehne und feuert ihn durch Loslassen ab. Und das fühlt sich auf überraschende Weise ganz vortrefflich an!
Wenn man irgendwann völlig intuitiv einen Pfeil nach dem anderen aus den Fingern schnalzen lässt, bildet man sich erfolgreich ein, eine Art leibhaftiger Legolas zu sein, nur eben in einer bunten Postapokalypse. Tatsächlich würde ich sogar so weit gehen und sagen: Wenn schon Shooter in VR, dann bitte in Zukunft nur noch so! Denn es fühlt sich nicht nur höchst belebend an, sondern vermeidet die meisten Probleme, auf die VR-Ballerspiele in der Vergangenheit stets gestoßen sind, weil das Zielen über Kimme und Korn von Pistole oder Gewehr in einem Videospiel nur höchst ungelenk vonstatten gehen kann oder bei richtiger Anwendung durch Zukneifen eines Auges den eigentlichen Zweck des dreidimensionalen Sinneseindruckes von VR sogar vollständig verliert.
Die Entwickler von Horizon: Call of the Mountain gehen höchst geschickt dabei vor, euch ein authentisch simuliertes Erlebnis einerseits zu vermitteln, euch andererseits aber auch durch praktisch kaum spürbare Zielhilfen erfolgreich vorzugaukeln, ihr wärt tatsächlich ein nahezu meisterlicher Bogenschütze. Dabei kommt etwa auch die Kamera im Inneren der PSVR2-Brille zum Einsatz, die stets die Blickrichtung eurer Augen misst und so jederzeit weiß, wo ihr gerade hinschaut und dementsprechend hinzielen wollt – und eurer Treffergenauigkeit unmerklich ein klein wenig unter die Arme greift.
Damit euch die Kämpfe zwischen zielen, schießen, Waffe wechseln, ausweichen, wegrennen, in Deckung gehen und Munition nachladen nicht maßlos überfordern, beschränken die Entwickler eure spielerischen Möglichkeiten aufs Wesentliche. So könnt ihr euch während der Auseinandersetzungen nicht frei bewegen. Stattdessen setzt euch das Spiel gewissermaßen auf eine Kreisbahn am Rand einer Arena ab, in der ihr euch per Antippen des Analogsticks in flinken Sprüngen zur Seite bewegt, um Angriffen auszuweichen und euch neu zu positionieren.
Wie in den großen Open-World-Vorgängern gilt es dabei gezielt die Schwachstellen der unterschiedlichen Maschinenwesen unter Beschuss zu nehmen und dafür die geeignete Bewaffnung aus Feuer-, Frost- und Schockpfeilen zu wählen. Das Gegnerensemble spielt hierfür eine Art Greatest-Hits-Compilation der Reihe ab: die flinken Wächter-Raptoren, die zwar verhältnismäßig schwach auf der Brust auftreten, dafür gerne in Rudeln unterwegs sind, die majestätischen Riesenvögel, das massige Nilpferd und der monströse Donnerkiefer.
Faszination VR
Ein Großteil der Faszination an Horizon: Call of the Mountain speist sich daher selbstverständlich an der Erfahrung, diese faszinierenden Geschöpfe und die verwunschene Apokalypse-Spielwelt in Virtual Reality leibhaftig zu erleben, was ohne die Hardware-Power der PS5 und des PSVR2-Headsets unmöglich wäre. Call of the Mountain erstrahlt mit einem beeindruckenden Detailgrad und vor allem: seiner kolossalen Weitsicht.
Vermutlich auch deswegen wählten die Entwickler für das Aushängeschild der neuen VR-Brille das Bergsteiger-Thema, weil nur dadurch diese imposanten Panoramen vom Berg hinab ins Tal mit seinem nebeldurchwaberten Dschungel, den fernen Gipfeln und gähnenden Abgründen möglich sind. Beim Anblick kolossaler Wasserfälle, in den Berg gehauener Festungen und dem Auftritt des imposanten Langhalses stockt einem regelmäßig der Atem.
Horizon: Call of the Mountain stellt zweifellos ein aufwändig und hochwertig produziertes Vorzeigespiel für Sonys neue VR-Brille dar, wie es derzeit nur ein First-Party-Entwickler ohne Risiko eines finanziellen Bankrotts zu leisten vermag. Dennoch hinterlässt gerade die eingesetzte Technik in mancherlei Hinsicht einen seltsam zweifelhaften Eindruck: So versetzt zwar die beeindruckende Weitsicht ein ums andere Mal ins Staunen, vermag aber merkwürdigerweise kein adäquates Gefühl für Höhe zu vermitteln, wie man es eigentlich erwarten würde und den Entwicklern vermutlich auf dem Papier noch vorschwebte. Vermutlich lässt sich das dem Spiel selbst nicht vorwerfen, aber es ist interessant zu sehen, dass das Gehirn die künstliche Beschaffenheit der virtuellen Realität offenbar auch unbewusst so zu durchschauen scheint, dass es dem Rest des Körpers die Angst davor verweigert. Selbst wenn ich in 500 Metern Höhe an der Klippe über einem klaffenden Abgrund unter meinen Füßen baumle, verspürte ich zu keinem Augenblick ein banges Gefühl, wie sie derartige Szenen etwa in Kinofilmen instinktiv auslösen. Zwar neige ich nicht zu Höhenangst, doch bin ich mir nahezu sicher, dass selbst von diesem Bammel Betroffene kaum Probleme mit Horizon: Call of the Mountain haben dürften.
Davon abgesehen trüben kleine technische Merkwürdigkeiten den Gesamteindruck: Beim stufenlosen Drehen um die eigene Achse kommt es stets zu leichten sprunghaften Bewegungen, die einem minimalen Ruckeln gleichkommen, wie sie in jederlei Videospiel selbst bei 60 Hz unausweichlich sind, dem Immersionseindruck aber zunächst eher unbewusst, bei zunehmender Spieldauer jedoch nachhaltig schaden und nach einiger Zeit Kopfschmerzen verursachen können. Eine alternative Bewegungseinstellung für schrittweises Drehen, wie sie etwa Half-Life: Alyx optional vorsieht, würde hier Abhilfe schaffen, wird aber (noch?) nicht angeboten.
Hinzu kommt, dass das Bild auf unerklärliche Weise leicht unscharf wirkt. Zunächst vermutete ich einen Fehler in der PSVR2-Hardware – ein Vergleich mit anderen Next-Gen-VR-Spielen wie Star Wars: Tales from Galaxy’s Edge und Kayak VR Mirage (Tests demnächst) zeigte jedoch, dass es am Spiel selbst liegen muss. Ich vermute, dass Call of the Mountain so vor Details strotzt, dass die Engine sie schon nach wenigen Metern Sichtweite reduziert und dadurch ein leicht verschwommener Eindruck entsteht. Oder dass die Kantenglättung so gründlich arbeitet, dass sie die Pixel nicht nur glättet, sondern leicht übertrieben abschleift.
Hochwertiges Hochglanzprodukt, dem es an kreativen Einfällen mangelt
Mit etwa 10 bis 15 Stunden Spielzeit fällt Horizon: Call of the Mountain für ein VR-Spiel verhältnismäßig umfangreich, für 70 Euro aber auch preislich recht happig aus. Zumal es spielerisch abermals in vielerlei Hinsicht nur andeutet, was mit dem Medium noch alles möglich gewesen wäre. Eine Schleichpassage durchs hohe Gras an patrouillierenden Robotern vorbei etwa, wie sie für die Reihe charakteristisch ist, dauert gerade mal wenige Minuten und wird den Rest des Spiels über nicht erneut aufgegriffen und spielmechanisch verfeinert. Ein adrenalinpeitschendes Versteckspiel mit einer monströsen Kreatur kann für Augenblicke genau die Art von Beklemmung erzeugen, die nur VR in dieser Intensität zu vermitteln weiß, setzt aber in der vorherrschenden Stromlinienförmigkeit allenfalls inszenatorische Nadelstiche.
Auch das eigentliche Herzstück des Spiels in Sachen VR-Coolness, das Hantieren mit Pfeil und Bogen, wird abseits der wenigen Kämpfe allenfalls zum einfallslosen Abknallen von Sammelobjekt-Fähnchen eingesetzt und hätte dem Spiel doch in ein paar cleveren Rätseln so viel Tiefe und Facettenreichtum beifügen können. Die Versuche der Entwickler, zusätzlichen Umfang zu erzeugen mit Beiwerk wie ein bisschen Sammelkrams, einem uninspirierten Hindernisparcours für die Highscore-Jagd und einem Minispiel, das dem haarsträubend frickeligen Steinmännchen-Stapeln aus Assassin’s Creed: Valhalla nachempfunden wurde, zeugt jedenfalls davon, dass ihnen letztlich vermutlich die Zeit, das Budget, aber vor allem auch der konsequente Wille fehlte für den entscheidenden großen Wurf. Und ihnen die Lizenz der Vorlage womöglich kreative Fesseln anlegte, die treffend veranschaulichen, dass sich konventionelle Spielkonzepte und Marken-Universen eben nicht ohne Verluste in die Virtual Reality überführen lassen.
Als Showcase der hardwaretechnischen Verbindung von PS5 und PSVR2 taugt Horizon: Call of the Mountain dennoch durch seine detaillierte und vor allem abwechslungsreiche Spielwelt: malerischer Dschungel, schneeumwehte Berggipfel und majestätische Paläste geben einen beeindruckenden Ausblick auf das, was die neue VR-Generation zu leisten imstande sein wird. Für ein Must-have-Spiel fehlt es allerdings an spielerischer Substanz und vor allem den pfiffigen Einfällen und kreativen Impulsen, die auch schon in der Vergangenheit bislang vor allem aus dem Indie-Bereich kamen und das Erlebnis der Virtual Reality nicht bloß als Fortschreibung konventioneller Videospielkonzepte im virtuellen Raum begreifen, sondern als neues Medium, das genuine Herangehensweisen und entsprechende Spielmechaniken von seinen Entwicklern einfordert.
>> Die 10 besten Spiele aus der ersten Generation von Playstation VR <<
Denn nach wie vor bin ich ein großer Fan von VR. Auch wenn Viele von den bisherigen Gehversuchen in diesem neuen Medium enttäuscht sein mögen, halte ich den Wirklichkeitseffekt von Virtual Reality nach wie vor für höchst beeindruckend und ertappe mich ein ums andere Mal dabei in ein Staunen zu geraten, wie es allenfalls kleine Kinder kennen. Vor allem aber auch die zahlreichen spielmechanischen Experimente, die etwa in Spielen wie Moss, Half-Life: Alyx, Beat Saber, A Fisherman’s Tale, Statik, Astro Bot: Rescue Mission oder The Mage’s Tale von den völlig neuen kreativen Möglichkeiten der Virtual Reality künden, weisen in eine höchst spannende Richtung – selbst wenn sie im Einzelfall auch mal scheitern. Dass wir den Weg in dieser Richtung weiter erkunden können und Sony das Thema VR nach dem verhaltenen Erfolg der ersten PSVR-Generation nicht sang und klanglos als gescheitert eingehen lässt, rechne ich dem Playstation-Konzern jedenfalls hoch an. Doch um voran zu kommen, braucht es kühne Ideen und scharfsinnig erdachte Konzepte. Spiele wie Call of the Mountain erzeugen kurzzeitige Aha-Effekte, und für ein Showcase der Technik ist das zwischendurch auch vollkommen in Ordnung. Im Grunde aber braucht das Medium sie nicht zwingend.
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