Preview - South Park: Die rektakuläre Zerreißprobe : Es sinkt für Sie: das Niveau
- PC
- PS4
- One
„Kindermund tut Wahrheit kund“ ist ein Erfolgsrezept der kultigen South-Park-Serie. Zügelloser Zynismus, harte Gesellschaftskritik oder einfach nur derbe Sprache – es klingt nicht nur komischer, sondern auch bedenkenswerter, wenn es dem vermeintlich einfach gestrickten Hirn eines Dreikäsehochs entspringt. Nicht anders in der zweiten Rollenspieladaption mit dem leicht erzwungen derben Untertitel „Die rektakuläre Zerreißprobe“.
Wie erfrischend einfach es doch seit über zwanzig Jahren ist, sich in die Köpfe der Kids aus South Park hineinzuversetzen. Sie sind in allen Facetten der Kunst derb, ungehobelt und schonungslos ehrlich. Klar, nicht jeder von uns war als Kind so verdorben und opportunistisch, fluchte wie ein Rohrspatz oder gab fröhlich unwissend politisch unkorrekte Parolen von sich, aber so ziemlich jeder kannte dieses fiese fette Kind von nebenan, das den Intellekt eines Zwiebelmettbrötchens unterbot und doch aufgrund von Körperlichkeit und anerzogener Selbstverständlichkeit überall den König raushängen ließ.
Eric Super-Cartman
Somit ist es nicht nur ein Leichtes, sondern auch eine höchst vergnügliche Angelegenheit, Eric Cartmans Sinneswandel in der Einleitung des neuen Ubisoft-Rollenspiels South Park: Die rektakuläre Zerreißprobe nachzuvollziehen. Wir befinden uns in der Endphase des Vorgängers Stab der Wahrheit und der fette, verwöhnte Zwerg hat schlicht keine Lust mehr auf Ritter und Fantasy. Jetzt will er Superheld spielen. Die anderen Kids? Pff, sollen die doch sehen, wo sie bleiben. Am Superheldenspiel können sowieso nur die „coolen Kids“ teilnehmen.
Noch nie war das komplette Ausradieren und auf null setzen eines RPG-Universums simpler und zugleich glaubwürdiger. Das fette Alpha-Kid will nicht mehr. Brillant, auch wenn Kenner der Fernsehserie rein aus Gewohnheit nur noch mit den Schultern zucken. Cartman hat schon viel derbere Dinge gerissen.
Trotzdem ein geschickter Schachzug, denn so kann der zweite Anlauf im South-Park-Rollenspieluniversum sämtliche Altlasten ablegen und von vorne beginnen – und der Spieler gleich mit. Obwohl „der Neue“ in der Stadt weiterhin die Hauptrolle übernimmt, muss er sämtliche Attribute aus dem Stab der Wahrheit im Tausch gegen seine Superheldenidentität ablegen. Was heißt muss? Er müsste eigentlich nicht, aber er will ja mitspielen, was Cartman zunächst gar nicht gefällt.
Der Wechsel ins Superheldendasein geht quasi nahtlos vonstatten. Schauplatz ist noch immer das verschlafene Dörfchen South Park, das sich weder faktisch noch in der Vorstellungskraft der Kinder großartig ändert. Kenner von Stab der Wahrheit werden somit vorerst kein neues Territorium betreten, sondern nur eines, das neu interpretiert wird. Wege in die Innenstadt sind gesperrt, mal durch Baustellen, mal durch Lego-Steine, die laut Spielregeln heiße Lava darstellen, aber im Großen und Ganzen wissen Veteranen, was sie wo vorfinden.
Was sich ändert, sind die Kostüme, in denen die Kinder herumlaufen. Cartman verwandelt sich in den Waschbärrächer „The Coon“ , der von seiner unterirdischen Basis aus (will heißen aus dem Familienkeller heraus) die Taten seiner Superheldenkumpels steuert. Stan schlüpft hingegen in die Rolle von „Moskito“, Timmy ähnelt Professor X im Rollstuhl und so weiter.
Ursprünglich sind es vermisste Katzen, die Cartman zum Superheldenspiel antreiben und auf Ruhm für seine eigene Truppe hoffen lassen. Doch weil die Faulheit siegt, schickt er das neue Kind als Handlanger los und denkt sich eine tragische Herkunftsgeschichte für ihn aus. Zumindest wird es so verpackt. Tatsächlich habt ihr als Spieler einigen Einfluss auf Erscheinungsbild und Kräfte des neuen Helden. Am Anfang wählt ihr eine von drei Klassen: Speedster, Brutalist oder Blaster. Dementsprechend werdet ihr ein Mutant, der auf Schnelligkeit, pure Kraft oder (Feuer-)Strahlen setzt. Im späteren Verlauf kommt eine weitere Klasse dazu, unter anderem der Mentalist.
Finale Fantasie
Wie zuvor findet der Wandel nur in der Fantasie der spielenden Kids statt, ist aber Grundlage einer ganzen Kette von Ereignissen. Alle Gespräche, die ihr von nun an führt, ob mit Kindern oder Erwachsenen, drehen sich einzig und allein um Superhelden, ihre Konflikte und ihren Beliebtheitsstatus. So füttert ihr Cartmans Social-Media-Seite mit Paar-Selfies eurer Bewunderer, befreit Verbündete aus ihrer Lethargie und – wie sollte es anders sein – kämpft gemeinsam in rundenbasierten Schlachten gegen Schurken aus der sechsten Klasse.
Gerade beim Kampfsystem treten viele Neuerungen zutage. Neben der Rangfolge in der Runde und den strategisch zu verwendenden Angriffs- und Heilungstalenten spielt nun auch die Position auf dem Bodenraster eine ausschlaggebende Rolle. Jeder der maximal vier Helden der Party hat einen festen Bewegungsradius und Talente mit wechselnder Reichweite. Angriffe finden allerdings grundsätzlich nur in einer Richtung statt, nämlich abhängig vom Startpunkt der Schlacht nach links oder rechts, obwohl das Raster über drei horizontale Reihen verfügt. Wollt ihr also einen Gegner angreifen, der ein wenig tiefer steht als ihr, so müsst ihr erst auf seine Ebene hinuntergehen.
Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe der an Krücken gebundene Jimmy, der als „Fastpath“ einen auf „The Flash“ macht, also ultraschnell ist, aber nur diagonal im Raster austeilen darf. Besonders starke Manöver generieren hingegen Flächenschaden, müssen aber erst durch mehrere erfolgreiche Paraden aufgeladen werden.
Zugegeben, das ist nicht der komplexeste Ansatz unter der RPG-Sonne, aber ein sehr unterhaltsames Stück Software, das seinen Handlungsstoff ungemein komisch verknüpft. Wer über Jimmys Spezialattacke – er flitzt mit Krücken in Lichtgeschwindigkeit um die Welt – nicht lachen kann, muss schon ein sehr verkniffener Verfechter der Political Correctness sein. Andererseits: South Park war nie für Feinfühligkeit bekannt. Ihr solltet wissen, was auf euch zukommt.
Warum furzet und rülpset ihr nicht?
Infantile Pups-, Kotz- und Toilettenwitze, von denen es beileibe genügend gibt, mal beiseite, strickt die rektakuläre Zerreisprobe ein handfestes Rollenspielkonstrukt, von dem sich Marvel und DC gerne mal eine Scheibe abschneiden könnten. Stärken und Schwächen unter den Superhelden wirken gut verteilt und werden in den Schlachten spannend gegeneinander ausgespielt.
Was bislang weniger Freude macht, ist das Abklappern sämtlicher Schauplätze nach Proviant und Crafting-Gegenständen. Zwar markiert das Spiel jeden unabgeschlossenen Schrank mit einem hellen Knauf, aber das endlose Herumlaufen in fremden Häusern wirkt etwas ermüdend. Hier wären kleine Rätsel und Nebenquests deutlich spannender, gerade weil das Örtchen South Park nicht besonders groß ist und die Lokalitäten abseits kleiner Änderungen schon bekannt sind.
Aha-Momente gibt es dennoch einige, sei es beim Erkunden der Trampelpfade, die abseits gesperrter Straßen tiefer in die Stadt führen, oder beim Austüfteln, wie man mürrische Stadtbewohner dazu überredet, ein Selfie zu schießen. Ginge es nicht um ein Spiel für eine klar definierte Fangemeinde, die viel Unterhaltungswert aus der Story zieht, so wäre das trotzdem zu wenig, was nebenbei die veranschlagte Spielzeit erklärt. Die Kritik an Stab der Wahrheit wurde ernst genommen, denn anstelle von 10 Nettospielstunden verspricht Ubisoft nun doppelt so viel.
Kommentarezum Artikel