Test - Oxenfree 2: Lost Signals : Test: Lässt sich ein Geniestreich wiederholen?
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Das Spiel mit dem seltsamen Namen Oxenfree sorgte 2016 als außergewöhnliches Indie-Kleinod für Aufsehen. Verantwortlich dafür war seine einzigartig authentische Erzählweise, die realistisch gezeichnete Charaktere und natürlich wirkende Dialoge in den Mittelpunkt rückte und dafür die rätselhafte Mystery-Geschichte um übersinnliche Phänomene und die Geister eines versunkenen Schiffes nur als atmosphärisches Hintergrundrauschen einsetzte. Sieben Jahre ließ die Fortsetzung auf sich warten und schließt nun dort an, wo der Vorgänger endete.
Oxenfree sorgte bei seinem Erscheinen im Jahr 2016 für eine kleine Indie-Sensation. Und das, obwohl es dem seinerzeit heftig umstrittenen Genre des Walking-Simulators verwandt war und diese Abstammung durchaus wörtlich nahm. Denn viel mehr als spazieren gehen machte man darin nicht. Aber dabei reden, das machte man eben auch, und genau darin lag die Besonderheit dieser interaktiven Geschichte.
Es ging um fünf Freunde im Alter der Twentysomethings, die auf die Insel und in das provinzielle Fischerdörfchen darauf zurückkehrten, in dem sie aufgewachsen waren, um zu feiern und die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen, die sich mit zunehmenden Alter als die „guten, alten“ darstellen. Und nebenbei neue Befindlichkeiten diskutieren, vergangene Wunden aufreißen und wieder zu heilen versuchen, das eigene Leben reflektieren und nebenbei versehentlich die Geister eines versunkenen Schiffes heraufbeschwören, die im Rauschen des Radios Botschaften aus dem Jenseits schicken, rätselhafte Lichterscheinungen erzeugen und die Freunde in tückische Zeitschleifen einsperren.
Die meiste Zeit des Spiels lauft ihr lediglich quer über die Insel. Und unterhaltet euch mit euren Freunden. Das bis heute Einzigartige an Oxenfree war die Art und Weise, wie diese Dialoge geschrieben und von ihren Sprechern interpretiert wurden. Denn dort wurden nicht einfach Schuss-Gegenschuss-Gespräche vom Blatt abgelesen. Stattdessen erweckten die Gespräche stets glaubhaft den Eindruck, einer wirklichen Konversation beizuwohnen, die tatsächlich so stattfinden könnte. Die Sätze waren in authenttisch wirkendem, umgangssprachlichem Ton verfasst. Da brach eine Figur schonmal den Satz mittendrin ab, um ihn neu zu beginnen, verhaspelte sich oder nuschelte Teile davon unverständlich weg.
Vor allem aber waren es die Themen dieser Gespräche, die Oxenfree zu einer solch ungewöhnlichen Erfahrung machten, weil sie glaubhafte alltägliche Probleme verhandelten und dadurch lebendig scheinende Charaktere schufen, die eine Persönlichkeit besaßen, wo andere lediglich Spielfigur sind.
Da war etwa die Heldin Alex, die durch die Heirat ihrer Mutter plötzlich einen Patchwork-Stiefbruder an die Seite gestellt bekam und diesen nun Schritt für Schritt kennenlernen muss. Und mit euren Entscheidungen in den Dialogen bestimmt ihr, ob sich daraus eine geschwisterliche Bande entwickelt oder lediglich eine erzwungene Verwandtschaft. Dann war da der schüchterne Kumpel, der heimlich in eine platonische Freundin verliebt war und die Gelegenheit des gemeinsamen Wochenendes auf der Insel zu nutzen beabsichtigt, ihr seine Gefühle zu gestehen. Und schließlich die selbstverliebte, ehemalige Dorfschönheit, die immer schon Teil der Clique war, obwohl sie eigentlich niemand je so richtig leiden konnte, was heute im Nachgang viel Aufarbeitung nötig macht und Streitigkeiten hochkochen lässt, die lange Zeit Unausgesprochenes zutage fördert.
Und jetzt: die Fortsetzung …
Das Rekapitulieren des Vorgängers im vorigen Abschnitt fiel vor allem auch deshalb so ausführlich aus, weil sich das Gesagte anstandslos auf den Nachfolger übertragen lässt. Oxenfree 2: Lost Signals wiederholt im Großen und Ganzen das Muster des ersten Teils, nur eben mit neuen Figuren und neuer Geschichte, die fünf Jahre nach den Ereignissen des Vorgängers spielt und ab einem gewissen Punkt einen deutlichen Bogen zu dessen Geschehnissen spannt.
Diesmal steht die junge Riley im Mittelpunkt, die, ähnlich wie die Protagonisten im ersten Teil, in das verschlafene Kaff zurückkehrt, in dem sie als Kind aufgewachsen ist, und von dort aus ihre Vergangenheit reflektiert sowie ihre aktuelle Lebenssituation überdenkt, die stark von den Vorstellungen abweicht, die sie sich als Teenager einst gemacht hat.
In Oxenfree 2 befinden wir uns nicht auf der Spukinsel selbst, sondern unmittelbar gegenüber im Fischerdorf an der vorgelagerten Küste. Dessen Parameter entsprechen aber weitgehend denen des ersten Teils: ein nahezu verlassenes Provinzkaff, aus dem jeder Jugendliche, der dazu die Gelegenheit hat, so schnell wie möglich in die große weite Welt entkommen will. Ein Strand, ein Wanderweg durch den Wald auf den Berg, eine verlassene Mine – auch wenn der Ort ein anderer ist, so weckt der Schauplatz von Teil 2 in jedem Moment Erinnerungen an den Vorgänger.
Hier soll Riley eine Funkantenne aufstellen und Messungen der merkwürdigen Signale durchführen, die von der Geisterinsel kommen – und reißt dadurch versehentlich erneut das Portal ins Jenseits auf, aus dem die Seelen der verstorbenen Seeleute zurück ins Leben zu gelangen versuchen. Um den Riss in der Raumzeit wieder zu schließen und den Kollaps der gesamten Realität zu verhindern, muss Riley drei weitere Sender in der Umgebung installieren und dabei einer Gruppe leichtsinniger Teenager zuvorkommen, die sich einbilden, mit den übersinnlichen Kräften der Geister das Geheimnis zur Unsterblichkeit lüften zu können.
Und so laufen wir in der Rolle von Riley einmal mehr durch die Gegend. Und reden. Diesmal mit Jacob, ein flüchtiger Bekannter aus Schulzeiten, der sich Riley auf ihrem Abenteuer anschließt, die Welt zu retten und nebenbei das eigene chaotische Leben neu zu sortieren. Und wieder sind es genau deswegen die Gespräche und die Themen, die darin angerissen werden, die das Faszinosum von Oxenfree 2 bestimmen.
Zwischen Realismus und Spuk-Mystery
Riley steht gerade an einem Scheideweg in ihrem Leben. Sie hat vor Kurzem ihren Job verloren, ist ungewollt schwanger und reflektiert bei der Rückkehr in ihr Heimatdorf die Entscheidungen, die ihr Leben an diesen Punkt geführt haben. War es richtig, damals von dort fortzugehen? Ist es richtig, nun wiederzukommen? Sich einzugestehen, möglicherweise versagt zu haben? Hätte sie damals den Weg einschlagen sollen, den ihr Vater für sie vorgesehen hatte, sich aber dagegen entschied, was zum Zerwürfnis zwischen den beiden führte? Ist sie bereit für die große Verantwortung, die ihr mit der Geburt ihres Kindes bevorsteht?
Jacob wiederum scheint wie der exakte Gegenentwurf dazu, zweifelt aber im selben Maße an der Richtigkeit seines bisherigen Lebensweges. Im Gegensatz zu den meisten seiner ehemaligen Mitschüler hat er sein Heimatdorf nie verlassen und hadert nun mit der Situation, womöglich Zeit seines Lebens nur auf der Stelle zu treten, gilt am Ort als zurückgezogener Sonderling und träumt insgeheim immer noch davon, etwas Bedeutendes zu schaffen, das ihn überdauert, ein Kunstwerk vielleicht oder eine Heldentat wie die, die sie gerade vollbringen.
Oxenfree 2 fährt immer dann zur Höchstform auf, wenn es ganz nebenbei und fast unmerklich solcherlei existentialistische Fragen angenehm unprätentiös und wahrhaftig diskutiert und sich der Spieler im besten Fall selbst darin wiederfindet, seine eigenen Lebensweg und seine gegenwärtige Situation hinterfragt und ins Grübeln gerät, was hätte sein können, wäre irgendetwas anders gekommen.
Die meiste Zeit über bleiben die Gespräche und die Handlung allerdings auffallend banal und belanglos, was womöglich auch daran liegen kann, dass die Entwickler die Dialoge eben größtmöglich authentisch gestalten wollten und nicht als dialektische Erörterung zwischen These und Gegenthese wie in einem Schulaufsatz. Es liegt aber vor allem wohl daran, dass diesmal nur zwei Charaktere das Geschehen beherrschen und nicht wie im Vorgänger derer fünf, die allein durch ihre Anzahl automatisch ein deutlich weiteres Spannungsfeld und feinmaschigeres Geflecht aus Beziehungen und Befindlichkeiten eröffneten. Dass Riley über ein Funkgerät verfügt, mit dem sie auch Konversationen mit abwesenden Personen führt, dient nur als schwacher Ersatz dafür. Auf diese Weise muss sich Oxenfree 2 noch mehr den Vorwurf gefallen lassen, den manch einer schon an den Vorgänger richtete: reichlich langatmig und streckenweise dadurch leider auch langweilig auszufallen.
Vermutlich genau um davon abzulenken, rücken die Entwickler die Mystery-Geschichte ein Stück weit stärker als im Vorgänger in den Vordergrund. Doch schon dort bestach sie weniger durch erzählerische Tiefe oder raffinierte Entwicklungen, sondern diente eher einer reinen Funktion, nämlich der, Neugier zu wecken, was sich wohl hinter den mysteriösen Ereignissen verbergen mag, und dadurch das Interesse am Geschehen aufrecht zu erhalten. Ein bisschen wie in der Serie Lost, wo ja auch die Fragen stets aufregender waren als die Antworten. Doch dadurch, dass man in Teil 2 die Lösung des Rätsels von Anfang an schon kennt, geht der Geschichte gleichzeitig auch ein Großteil des Reizes verloren, der sich am Ende in einer relativ geradlinigen Spukgeschichte erschöpft.
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Fans, die den Vorgänger abgöttisch lieben und vom Nachfolger weitgehend dasselbe erwarten, finden trotz aller geäußerter Kritik einen kompetent gemachten Nachfolger vor, der die Geschichte des ersten Teils sinnvoll weiterführt, ohne ihr grundlegend neue Aspekte hinzuzufügen. In gewissem Sinne ähnelt Oxenfree 2 darin den Film-Fortsetzungen, wie sie in den 80ern gedreht wurden, Ghostbusters 2 zum Beispiel, der durchaus gefällig die gleiche Geschichte nochmal aufwärmt, aber kaum Neues zu erzählen hat. Entsprechend habe ich nicht bereut, Oxenfree 2 gespielt zu haben. Gebraucht hätte ich es aber auch nicht unbedingt.
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