Test - Need For Speed Unbound : Endlich wieder seines Namens würdig
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Need for Speed stand sich in den vergangenen Jahren oft selbst im Weg. Der große Name nebst bedeutendem Publisher setzte die Marke unter Zugzwang. Irgendwas musste stets kurz vor Weihnachten unter dem NfS-Label erscheinen, es musste massenkompatibel sein und in irgendeiner Form jenen Ablegern entsprechen, die in der Geschichte der Serie den meisten Wirbel erzeugten. Dies gelingt Criterion Games (abseits des Remakes vom letzten Jahr) zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten.
Danke! Ich weiß nicht, wer die Entscheidung traf, Criterion nach rund neunjähriger Abstinenz wieder für die Entwicklung eines Rennspiels einzusetzen, aber dieser Person sei von Herzen gedankt. Das Studio mag seine Arbeiten an Spielen anderer Genres gewissenhaft ausgeführt haben, aber so wie man eine Rohrzange nicht zum Schreinern verwendet, sollte man einen Entwickler, der so herausragende Rennspiele wie Burnout zu verantworten hat, nicht an Shootern verheizen. Jedenfalls nicht ausschließlich.
Dass sich der Einsatz der britischen Vollgas-Profis auszahlt, kommt schon durch die optische Aufmachung des neuen Ablegers zur Geltung, denn der grafische Stil von NfS Unbound ist einzigartig. Für ein Rennspiel einer Mordsleistung. Abseits gewisser Nuancen im Shading und den Kulissen gleichen sich viele Vertreter dieses Genres frappant. Die meisten versuchen, möglichst realistisch zu wirken, und das lässt wenig Freiraum für verspielte Interpretationen.
Stylisch und farbenfroh
Umso schöner, dass Criterion aus diesem Einheitsbrei ausbricht, ja sogar mal richtig Kante zeigt, auch wenn eine Designentscheidung dieser Art nicht überall auf Begeisterung trifft. Nach den ersten Bildern und Trailern ließen viele potenzielle Käufer ihrem Unmut in Bezug auf Cel-Shading-Comic-Charaktere und ähnlich angesetzte Effekte für Rauch und Partikel freien Lauf.
Ihr gutes Recht. Der grafische Ansatz muss nicht jedem gefallen. Kunst ist schließlich erst Kunst, wenn es manchen gefällt und anderen wehtut. Aber niemand kann abstreiten, dass Criterion dem Spiel dadurch eine ganz eigene Note verpasst. Was dringend nötig ist, wenn es im Gedächtnis bleiben soll. Ein Mix aus Open-World-Erkundung und illegalen Straßenrennen, der sich irgendwo zwischen dem noch immer gefeierten NfS Underground und dem passablen NfS Heat aus dem Jahr 2019 platziert, könnte leicht in der Unkenntlichkeit regelmäßiger Iterationen versinken, gäbe es nicht diese optischen Ausreißer.
Für alle, die auf Comic-Stil stehen, sieht das neue Need for Speed jedenfalls fantastisch aus, weil es allen Bewegungen der Fahrzeuge durch seine Buntstift-Ergänzungen eine höhere Dynamik verleiht. Reifenqualm beim Driften ist nicht einfach nur schwarzer Rauch. Er ist ein Statement, wie ein Graffito oder ein stylisches Kleidungsstück. Darum darf man dessen Grundfarbe auch eigenhändig definieren. Hingekritzelte Adlerflügel bei einem Sprung von einer Rampe mögen für manche kitschig wirken, aber auch das ist ein Statement. Wer so etwas nicht mag, kann ja beim Fahren in die Motorhauben-Perspektive schalten. Nur an der schrillen, vielleicht etwas zu arg auf Tiktok-Influencer gemünzten Pseudo-Coolness der Darsteller kommt man nicht vorbei.
Progression mit Biss
Über Stil mag man streiten, doch am Ende zählt der Spielspaß, und den liefert NFS Unbound durch echte Progression. Etwas, das anderen Open-World-Racing-Games jüngster Zeit leider abhandengekommen ist oder so sehr reduziert wurde, dass man einen sichtbaren roten Faden vermisst. Selbst Playgrounds hoch gelobter Vorzeigetitel Forza Horizon 5 krankt ein wenig daran, theoretisch sämtliche Fahrzeugklassen von Anfang an zur Verfügung zu stellen, wodurch Einsteiger mit Optionen überfrachtet werden. Das gesamte Spiel ist verdammt spaßig, wenn man weiß, was man tut, aber durch die Fülle an Optionen fühlt es sich über die gesamte Spielzeit auch sehr gleichförmig an.
Im neuen Need for Speed ist das nicht der Fall. Ihr startet mit einem Mittelklassewagen, den ihr in einer ausführlichen Story-Einleitung ausreizen dürft. Von der Speerspitze weit entfernt erfüllt er gerade mal seinen Zweck - und noch dazu verliert ihr ihn schon bald. Die Herleitung dafür ist passabel. Ihr beginnt das Spiel nämlich als Mechaniker einer kleinen Werkstatt, die sich mithilfe talentierter Mitarbeiter einen guten Ruf in der Stadt Lakeshore verdient hat. Aussehen und Geschlecht dürft ihr mithilfe eines Editors selbst bestimmen, bevor ihr euch in die Untergrundszene illegaler Straßenrennen wagt.
Alles wirkt harmonisch, bis Konkurrenten die Situation ausnutzen. Sie stehlen während eines vorgeschobenen Events sämtliche Auftragskarren aus euren unbewachten Garagen. Reputation futsch, Anlagevermögen ebenso, und zu allem Überfluss macht die Chefmechanikerin, die den Laden quasi allein schmiss, ebenfalls einen Abflug, weil das Rathaus der Stadt eben jene Untergrundszene ausräuchert. So ein Zufall.
Zwei Jahre später hält sich die kleine Werkstatt gerade so über Wasser, als eine neue Street-Racing-Szene aufkeimt. Ihr begegnet der alten Mechanikerin wieder und habt genau vier Wochen Zeit, ihr auf den Pelz zu rücken. Und so arbeitet ihr euch mit ein paar Schrottkarren die Reputationsleiter hinauf, bis ihr euch bessere Schlitten leisten könnt, fahrt auf dem offenen, aber mit wenigen echten Anlaufpunkten gefüllten Straßennetz zu Treffpunkten und weiteren Garagen, wo ihr Rennen startet, euer Auto aufmotzt und dem nächsten Story-Kapitel entgegenschreitet.
Ein typischer Gameplay-Loop in diesem Genre. Alles ganz nett, wenn auch manchmal etwas langatmig, weil wahrlich jede Kleinigkeit einen Sprachkommentar wert ist, der einen Meinungsaustausch mit Kollegen und Beifahrer zufolge hat. Man gewöhnt sich daran, und doch kommt die Geschichte nie so richtig an, weil sie das rechte Maß nicht findet. Sie ist zu kleinteilig, um echte Emotion zu erwecken, nervt durch pseudo-cooles Gehabe und verpasst die Gelegenheit, etwas Großes in Gang zu setzen. Gerade hinsichtlich des Bürgermeisters, von dem man immer wieder hört, erwartet man mehr und wartet umsonst auf das Aha-Erlebnis. Stattdessen stehen persönlicher Verrat und Vergeltung auf dem Programm. Na gut, ist dann eben so.
Zwo, eins, Risiko!
Immerhin: Das war es fast schon an ernsthafter Kritik. Zugegeben, ein paar kleine Schwächen in der Spielstruktur, zu denen wir später kommen, gibt es durchaus, aber nichts, was euch graue Haare bereiten könnte. Unbound ist ein Vollgas-Erlebnis, in dem beinahe alles zusammenkommt, was frühere NfS-Ableger so großartig machte. Und selbst einige der früheren halbgaren Ansätze (siehe NfS Heat) kommen besser zur Entfaltung.
Tages-Events und Nachtfahrten? Check! Dieses Mal gehören beide Tageszeiten zum Pflichtprogramm, denn sie offeriere unterschiedliche Veranstaltungstypen. Adrenalinfördernde Stunts und halsbrecherische Fahrmanöver, die man unbedingt ausführen muss, um den Nitro-Tank zu füllen? Klar doch! Verfolgungsjagden mit der Polizei? Jawoll! Sie sind zwar etwas zahmer als erwartet, aber bei einem hohen Fahndungslevel muss man die Stadt gut kennen und ordentlich Stoff geben, sonst endet der Ausflug hinter Gittern, mit der Konsequenz, dass ihr all euren Schotter verliert.
Rückspulen is nich! Im Gegenteil, abhängig vom gewählten Schwierigkeitsgrad stehen euch nur wenige Neustarts je Veranstaltung offen, im mittleren sind es vier. Habt ihr sie alle vergeigt, dann müsst ihr mit eurer Platzierung leben – und verliert womöglich einen Batzen Geld, den ihr als Einsatz vor dem Start investieren musstet. Solltet ihr obendrein so töricht gewesen sein, eine Wette mit einem Rivalen einzugehen, ist das Konto ruckzuck leer. Ohne Kohle kein Startgeld und ohne Startgeld keine Rennen. Dann bleibt euch für eine Weile nur das offene Cruisen, das euch durch das Austricksen von Radarfallen, das Sammeln versteckter Goodies und das Ausführen besonderer Stunts etwas Kleingeld zusammenträgt.
Ohne Tuning kein Erfolg
Damit so etwas nicht passiert, solltet ihr euren Wagen so einstellen, wie ihr am besten klarkommt. Tuning ist kein Hexenwerk, aber ungemein wichtig. Ein paar Slider für Beschleunigung und Handling werden von Steuerungsoptionen ergänzt, die bestimmen, auf welche Weise ihr driften wollt. Entweder klassisch mit der Bremse oder in Ridge-Racer-Manier durch kurzes Gasweglassen.
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Gerade von Letzterem hängt einiges ab, denn ohne Driften läuft in den Rennen gar nichts. Selbst wenn ihr über die kaum mit Kurven gespickte Autobahn heizt, retten euch nur gezielte Drifts vor einer Begegnung mit der Bande. Das ist allerdings zugleich eure Achillesferse, denn sämtliche Computergegner haben einen Mords Zahn drauf und driften gerade mal so viel wie nötig. Selbst im mittleren Schwierigkeitsgrad darf das arcadige Fahrmodell nie zu einer schlampigen Fahrweise verführen.
Effizienz ist allerdings nicht nur beim Ausstechen der Rivalen gefragt. Mischt sich die Polizei ins Rennen ein, dann müsst ihr sogar noch ein extra Quäntchen Talent aus euren Fingern saugen, um nicht durch ständige Rempelmanöver ausgebremst zu werden. Klingt spannend, ist aber gelegentlich nervig, denn man könnte sie auch als fahrende Hindernisse bezeichnen. Richtig gefährlich werden die Cops erst nach einem Rennen, wenn ihr versucht, unbemerkt zu eurer Garage zurückzukehren. Manövriert ihr euch selbst in eine Sackgasse oder lasst euch umzingeln, winken schwedische Gardinen.
Online etwas dünn
Schade, dass das Spielprinzip im Online-Modus, der in allen Belangen unabhängig von der Kampagne läuft, nicht so gut aufgeht. Was mitunter daran liegt, dass sämtliche Cops im Urlaub sind und derweil nur 16 Spieler einen Server bevölkern. Bei Rennen mit maximal acht Teilnehmern sieht man die Hälfte des Pulks permanent, sodass kein Gefühl eines offenen Wettbewerbs zustande kommt. Das ist ein wenig kurzsichtig für eine Spielvariante, bei der man in sämtlichen Belangen von Null anfängt – also sich auch alle Autos durch harte Arbeit noch einmal verdienen muss.
Schade, denn angesichts der mogelfreudigen KI in der Offline-Kampagne (die nach einem Unfall gerne mal von Zauberhand zurück in eine führende Position versetzt wird) sehnt man sich schnell nach ein paar Gegnern, die mit den gleichen Handicaps fahren müssen. Zudem ist die Kampagne nach 20 Stunden schon vorbei – also gerade in dem Moment, wenn man sich mal warmgefahren hat und sich in der Stadt endlich ohne Karte orientieren kann.
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