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Test - Jusant : Test: Don’t Nod auf den Spuren von Ico und Last Guardian

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Jusant, so lautet das französische Wort für „Ebbe“. Ausgesprochen wird es daher in etwa „Schüsoohn“. Im neuen Spiel von Don’t Nod, den Machern von Life is Strange, bezeichnet es den Zustand der postapokalyptischen Welt, in der wir uns befinden: Nach einer Klimakatastrophe herrscht eine globale Dürre. Sämtliche Ozeane sind vollständig ausgetrocknet. Es gibt keinen Tropfen Wasser mehr auf dem einst blauen Planeten. Regen ist zu einem Mythos geworden, ein Märchen, das man den Kindern zum Einschlafen erzählt. Als einsamer Wanderer erklimmen wir einen Berg, um vom Grund des Meeres dorthin zu gelangen, wo einst die Oberfläche war.

Wer Don’t Nod vor allem für seine narrativen Spiele wie Life is Strange, Tell Me Why oder auch die Erzählexperimente Gerda: A Flame in Winter (Test) und zuletzt Harmony: The Fall of Reverie (Test) kennt, der wird zunächst höchst überrascht von Jusant sein. Denn das neue Spiel der Franzosen ist gänzlich anders und würde man eher von einem kleinen Indie-Studio erwarten als von einem Team, das auch immer mal wieder mit AAA-Produktionsaufwand liebäugelt, wie im kommenden und kürzlich aufs nächste Jahr verschobenen Action-Adventure Banishers: Ghosts of New Eden (Vorschau).

Jusant ist in seinem Kern ein reines Kletterspiel. Ein kreatives Gameplay-Experiment. Als einsamer Wanderer lebt ihr einer Welt, die einst am Grund des Ozeans lag und heute trockene Wüste ist, zu erkennen an den Kristallen und Korallen, die dort vor langer Zeit einst gewachsen sind und heute ein bizarres Farbenspiel exotischer Flora abgeben. Verrostete Schiffswracks künden von einer längst vergangenen Zeit, als das Antlitz der Erde noch zu 70% von Wasser bedeckt war.

Mal was anderes: ein Kletterrätselspiel

Unsere Mission: vom tiefsten Punkt des Planeten einen Berg zu erklimmen, von dort, wo früher Meeresboden war, die Steilwand wie eine unendlich in den Himmel ragende Felsnadel hinauf, dorthin, wo einst die Oberfläche lag und sich möglicherweise Hoffnung auf ein anderes Leben verbirgt.

Jusant ist pures Gameplay. Es gibt keine Dialoge, keine Entscheidungen und keine filmische Inszenierung wie in den bisherigen Spielen von Don’t Nod. Stattdessen klettert ihr Stück für Stück den steilen Berg hinauf. Im Ansatz kann man sich das vorstellen wie in einschlägigen Action-Adventures, etwa Assassin’s Creed, God of War oder Uncharted, vor allem aber Horizon: Zero Dawn, in dem das Klettern nicht nur eine zusätzliche Form der Fortbewegung in der vertikalen darstellte, sondern die Bergbesteigung in Form von Nebenquests auch eine spielerische Herausforderung darstellte.

Denn im Gegensatz zu Assassin’s Creed genügt es in Jusant nicht, einen Knopf zu drücken, damit der Spielcharakter in die Richtung klettert, die man ihm vorgibt. Vielmehr muss jeder einzelne Handgriff selbst getätigt und zuvor ein geeigneter Weg für den Aufstieg ausgespäht werden. Also im Grunde genau das, was man in den Turmbesteigungen der frühen Assassin’s-Creed-Spiele schon immer irgendwie vermisst hatte, wo das Erklettern der Aussichtstürme ja auch so etwas wie kleine Wegfindungsrätsel bildeten, aber nur höchst rudimentär und viel zu einfach.

Jusant ist daher im weiteren Sinne eigentlich ein Rätselspiel. Es geht darum, die immer neuen Spielmechaniken zu nutzen, um seinem Ziel Schritt für Schritt näher zu kommen. Die beiden Trigger des Controllers stehen dabei für die linke und die rechte Hand des Kletterers, von denen sich mindestens eine stets festhalten muss, um nicht abzustürzen, während die andere nach dem nächsten Haltepunkt greift. Dabei gilt es ähnlich wie in Zelda: Breath of the Wild die Ausdauer nie aus dem Blick zu verlieren.

Wie für derlei Rätselspiele üblich führt Jusant nach und nach neue Spielelemente ein, um für Abwechslung und zunehmend vertracktere Situationen zu sorgen: Am Halteseil hängend schwingt man an der Kletterwand hin und her, nimmt Anlauf, um weiter entfernte Punkte zu erreichen, in der gleißenden Sonne geht euch schneller die Puste aus, was zur Eile zwingt, und an krabbelnden Käfern könnt ihr Huckepack Steilpassagen überwinden, an denen es sonst keine Einhakmöglichkeit gibt.

Die Entwickler finden dabei stets ein angenehmes Maß aus spielerischer Herausforderung und meditativer Erfahrung. Richtig schwer oder knifflig wird es nie. Zudem kommt euch das Spiel mit etlichen Maßnahmen entgegen, die potenziell nervige Situationen elegant vermeiden: So könnt ihr etwa pro Aufstieg bis zu drei Sicherheitskeile in die Wand rammen, um euch im Falle eines Absturzes aufzufangen und den Aufstieg nicht wieder ganz von vorne beginnen zu müssen.

Inspired by Ico und Shadow of the Colossus

Neben dem kreativen Gameplay-Experiment und der puzzle-artigen Herausforderung geht es in Jusant aber vor allem auch um die atmosphärische Erfahrung von Einsamkeit, Trostlosigkeit und scheinbarer Ausweglosigkeit. Und hierin zeigt sich, dass die Entwickler offenbar wohl große Fans von Spielen wie ICO, Shadow of the Colossus und The Last Guardian sein müssen.

Denn genau wie in den genannten Meisterwerken von Entwicklerlegende Fumito Ueda verströmt Jusant mit jeder seiner Fasern dieses Gefühl der Vergänglichkeit einer Welt, von der nurmehr ein fernes Echo wahrnehmbar ist, verschmelzen Herz und Seele des Spielers nach und nach mit dem rastlosen Geist des unermüdlichen Helden, der mit aller Kraft dem unausweichlichen Ende dieser Welt trotzt und übermenschliche Strapazen auf sich nimmt, um sich ihm entgegenzustellen.

Besonders augenfällig wird die verwandtschaftliche Beziehung zu ICO auf der Tonspur, auf der, bis auf gelegentliche, verträumt sphärische Melodien, über weite Strecken nur das verzweifelte Stöhnen und Ächzen dieses tapferen, einsamen Jungen zu vernehmen ist, der es allein mit der ganzen Welt aufzunehmen scheint in der Hoffnung, aber ohne Aussicht auf Erlösung. Ein späteres Kapitel im Spielverlauf scheint gar ganz offenherzig den Hommage-Charakter auszustellen, indem es zwei ikonische Szenen aus ICO und Shadow of the Colossus ganz unverblümt zitiert und direkt aneinanderreiht.

Wie dort künden das ganze Spiel über lediglich Spuren längst vergangener Zeiten davon, dass diese Welt einst ganz anders aussah, geben sie zaghafte Einblicke darin, was hier einst geschehen ist und welch tragische Schicksale die Menschen erleiden mussten, die einst hier lebten, aber schon lange fort sind. In Aufzeichnungen und Briefen erfahrt ihr von ihrer Verzweiflung, als das Wasser immer knapper wurde, die Meeresspiegel sanken und ständige Rastlosigkeit dem Unausweichlichen hinterher in den Abgrund eilte.

Aber auch die Spielwelt selbst erzählt in vielen kleinen, oft nahezu unmerklichen Begebenheiten von einer Welt, die natürlich auch als Mahnung vor dem Klimakollaps steht: Die Tiefseeknollen und gestrandeten Schiffswracks, die gewahr machen, dass diese felsige Wüste vor langer Zeit einmal Ozean war, die vertrockneten Brunnen und verkümmerten Beete, die das verzweifelte Aufbegehren der Menschen gegen die tödliche Trockenheit vor Augen führt, die verkümmerten Hütten, die von einer Zivilisation künden, deren Lebensinhalt nur noch aus dem blanken Überleben bestand.

Jusant erinnert darin auch an Indiespiele wie Rime, das dezentes Rätsel- und Kletter-Gameplay in eine allgegenwärtige Stimmung der Vergänglichkeit tunkte, zweifellos natürlich an das Durchqueren einer trostlosen Welt im Meisterwerk Journey, in seiner Grundstimmung vom Verfall auch an das ansonsten ziemlich esoterisch verquaste Season: A Letter to the Future und im Gameplay natürlich an VR-Kletterspiele wie The Climb von Crytek oder in Ansätzen auch Horizon VR: Call of the Mountain.

Jusant - Gameplay Trailer

Don't Nod hat seinem neuen Sci-Fi-Titel Jusant einen Release-Termin und im Gameplay-Trailer neue Spielszenen verpasst.

Zu wenig Fleisch auf den Rippen

Das muss man allerdings schon mögen oder zumindest bereit sein, sich darauf einzulassen. Denn wie der tapfere Bergsteiger hat auch das Kletter-Gameplay schwer daran zu ächzen, ein ganzes Spielkonzept zu stemmen. Wo Kletterpassagen in Action-Adventuren sonst Abwechslung und Auflockerung vom Abenteuer verheißen, bildlich gesprochen das Salz in die Suppe geben, formen sie in Jusant das alleinige Gerippe, dem es am Fleisch an den Knochen fehlt.

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Leider gelingt es insbesondere der Geschichte nicht, diesen Mangel aufzufangen. Die Erzählweise in Briefen und Notizen erschöpft sich in Belanglosem oder der für Don’t Nod typischen Sentimentalität. Weder formuliert Jusant einen emotional aufwühlenden Kommentar zum Klimawandel, noch gelingt es ihm, seine Mär von Trostlosigkeit und Einsamkeit im tragischen Schicksal seines Protagonisten aufgehen zu lassen, wie es eben seinen offenkundigen Vorbildern Ico, Colossus und Last Guardian in geradezu erschütternder Weise gelang. Stattdessen ergeht es sich schlussendlich in naiv-esoterischer Rhetorik und deren Kitschästhetik. Schade.

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