Special - Dark-Souls-Speedrun im Selbstversuch : Wie mich eine Schnapsidee zum Besessenen machte
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Elden Ring steht vor der Tür und jeder halbwegs Souls-Begeisterte reibt sich schon freudig die Grabscher, ich natürlich auch. Für so einen Kracher braucht es natürlich die richtige Vorbereitung. Wer rastet, der rostet, also heißt es den Kampf gegen den inneren gierigen Sack aufzunehmen, der statt zu rollen lieber nochmal zuschlagen will, und zwar mit einem Dark Souls 3 Speedrun! Ich nehme euch mit auf eine ungewöhnliche Reise, bei der ich tanzen lernte und der Grundschul-Mathematik frönte.
Zwei Stunden, fünfundfünfzig Minuten und sechzehn Sekunden - oder in Zahlen: 02:55:16. So lange benötigt ein sehr gut austrainierter Marathonläufer, um die 42 Kilometer und 195 Meter seiner Paradedisziplin hinter sich zu bringen. Zwar bedeutet das keinen Weltrekord, aber schon einen ziemlich flotten Lauf. Genauso lange benötige ich für meinen flotten Lauf, allerdings bewege ich mich dabei keinen Meter vom Fleck und schwitze auch nur, wenn die Sommersonne in mein Dachgeschosszimmer brät. Ich renne nämlich nicht durch die Gegend, sondern durch Dark Souls 3.
Erklärt mich für verrückt, obsessiv oder zwanghaft, letzten Endes ist es aber auch egal: Seit etwa einem halben Jahr bin ich der Speedrun-Sucht verfallen. Was zunächst als Gag begann, ist heute eine stetig wachsende Leidenschaft für das schnellstmögliche Durchspielen von Dark Souls 3. Warum ich mich durch ein so schweres Spiel quäle und mir dann auch noch selbst zeitliche Grenzen setze? Wieso ich so wahnsinnig bin und mich freiwillig immer und immer wieder den fiesen Aldridges, Dancers oder Namenlosen Königen stelle? Weil genau das der Kern der Souls-Serie ist und auch in Elden Ring sein wird: Der Kampf gegen die eigene Gier, die Perfektion genialer Spielmechaniken und letzten Endes die meisterhafte Beherrschung des Spiels.
Wie alles anfing …
Als Dark Souls 3 im Jahr 2016 auf den Markt kam, folgte es auf das spielmechanisch behäbige Dark Souls 2 und verdrängte den Vorgänger ziemlich schnell von der Festplatte. Genau wie viele andere Souls-Veteranen zockte ich Miyazakis Meisterwerk durch, auch gleich mehrmals und im Koop, ehe es gute zweieinhalb Jahre später von meinem PC verschwand. Ich speicherte den Titel zwar als das mechanisch am weitesten gereifte Dark Souls ab, verlor es dann aber letztlich für einige Zeit aus den Augen, vor allem weil Sekiro bereits in den Startlöchern stand. Zumindest solange, bis ich eines Tages auf Twitch über eine junge Dame stolperte, die Dark Souls 3 mal eben so in unter 2 Stunden durchgespielt hat.
Wer jetzt denkt, das ginge doch gar nicht ohne zu cheaten und wäre überhaupt nicht im Sinne der Spielidee, der irrt gewaltig. Sayvi, die junge Dame mit den gottgleichen Souls-Skills, beweist Zweiflern das Gegenteil. Sie rennt durch Dark Souls in der Kategorie “All-Bosses-Run” ohne Glitches, nutzt also nicht etwa wie in der any%-Kategorie reuelos jeden möglichen Bug aus. Und zum zweiten Irrtum? Aber ja doch, ein Speedrun ist im Sinne des Spiels, denn es braucht nicht weniger als absolute Beherrschung der Souls-Spielmechaniken, um einen solchen Speedrun hinzulegen. Und geht es darum in Dark Souls nicht seit jeher: Das Spiel so gut wie möglich zu meistern und letztlich nicht zu spielen, sondern auszuspielen?
Die Begriffe “Glitchless”, also ohne das Ausnutzen von Bugs voranzukommen, und “All-Bosses-Run” - als Ziel des Runs alle Bosse zu besiegen - grenzen die Disziplin ein, in der man sich mit anderen Runnern messen möchte. So wird aus einem spaßigen Experiment schnell ein messbarer und vergleichbarer Wettkampf, an dem erstaunlich viele Spieler teilnehmen.
So weit, so gut, habe ich mir gedacht, das kann ich auch. Außerdem, so war mein Gedankengang, wäre das doch die beste Vorbereitung auf Elden Ring - immerhin teilen sich Miyazakis neuestes Werk und Dark Souls 3 ziemlich viele Bewegungsmechaniken und zudem die gleiche Engine. Es stellte sich heraus, ganz so einfach ist es dann doch nicht, zumindest nicht auf Anhieb.
Sisyphos wäre stolz auf mich!
Auf geht’s, Speedrunning-Software installiert, die meine Fortschritte zeitlich genau misst, Controller in die Hand und … ja, was dann eigentlich? Wie fängt man mit einem Speedrun an, wenn man bisher für ein Spiel fast 20 Stunden gebraucht hat, um es durchzuspielen? Die Antwort darauf ist gleichermaßen schmerzhaft wie lehrreich: Man arbeitet immer und immer wieder an den kleinsten Details, Abkürzungen und minutiösem Timing, bis man sich Minute für Minute vorankämpft. Und noch viel wichtiger: Man sucht sich Hilfe, entweder auf Twitch, Youtube oder alternativ auf einschlägigen Community-Seiten wie Speedsouls oder Reddit.
Meine ersten Schritte waren natürlich trotzdem nicht leicht, wer hätte das gedacht? Schnell begreift man, dass ein Speedrun mehr ist, als nur die Bosse zu besiegen. Der Weg zu den Obermotzen fällt zumeist beschwerlicher aus als der Kampf selbst und setzt gute Planung, ein Auge fürs Detail und zeitweise perfektes Timing voraus, andernfalls verliert man nicht nur Sekunden, sondern gleich Minuten.
Um die korrekte Route des Spiels zu erlernen, keine wichtigen Items wie goldenes Harz oder einen Heimkehrknochen zu verpassen, die man beispielsweise bei Vordt einsetzen muss, startet man immer wieder von vorne. So verbringt man unzählige Stunden in den frühen Minuten des Spiels, ehe man sich tiefer nach Lothric hineinwagen kann, denn schnell kommt das Gedächtnis für Routen und Items an seine Grenzen.
Mechanisch wagt man sich am besten zunächst an die gröbsten Techniken, wie beispielsweise die Login-Mechanik des Spiels auszunutzen. Wer sich zum richtigen Zeitpunkt während der ewig langen Türöffne-Szenen ausloggt und blitzschnell wieder einloggt, der kann die Szene nahezu überspringen und gewinnt wertvolle Sekunden. Auf diese Weise “skipt” man gleichermaßen gekonnt gute 20 Minuten Umweg beim Boss Großholz und lädt sich einfach nach dem Kampf in das Areal über der Arena. Klingt simpel, erfordert aber genauso viel Timing wie der Kampf gegen die Bossgegner selber.
Die Obermotze basieren übrigens auf einfacher Mathematik: Sie lassen sich auszählen. Für Wolnir genügen beispielsweise genau acht Schläge auf jeden seiner goldenen Armreife, um ihn zu besiegen, bei Vordt braucht es hingegen satte 15 Treffer bis der Boss aus der Balance geworfen wird. Andere Gegner wie beispielsweise die Tänzerin oder auch Midir synchronisieren ihre Bewegungen nach dem Rhythmus der Hintergrundmusik. Verblüfft durfte ich feststellen, dass ein Dark Souls 3 Speedrun nach einiger Zeit eher einem Tanz gleichkommt, bei dem jeder Fehltritt das Ende sein kann. Na super, dass ich nie tanzen konnte …
Solche Fehltritte - also zu sterben - sollte man natürlich tunlichst vermeiden. Das sagt sich leicht in einem Spiel, in dem man für gewöhnlich andauernd wegen kleineren Fehlern ins Gras beißt. Jedes Ableben kostet Zeit, einmal 15 Sekunden Ladezeit und dann natürlich noch die Minuten, die man benötigt, um wieder zum letzten Ort zurückzukehren. So verliert man schnell eine Viertelstunde Spielzeit daran, einigermaßen orientierungslos durch Lothric zu rennen. Besser ist es, gleich wieder von vorne anzufangen.
Hat man gut die Hälfte des Runs geschafft und ist endlich in Anor Londo angekommen, wagt man sich an komplexere Manöver und Skips. Dann heißt es das Timing von Gundyrs Attacken zu lernen, um den Koloss in den Unbehüteten Gräbern kurzerhand zu parieren – spart im Vergleich zum regulären Kampf satte 30 Sekunden, erfordert aber gleichzeitig absurden Skill. Auch hier gilt wieder: Übung macht den Meister, und so besucht man Gundyr zigmal, ehe man den Dreh raushat.
Warum sollte man sich das antun?
Die Antwort auf diese Frage ist dreigeteilt. Zum einen bietet Dark Souls 3 die wohl am weitesten ausgefeilte Sammlung an Souls-Mechaniken, die sich ein Fan des Genres wünschen kann. Die Bewegungen werden von der Engine unmittelbar umgesetzt und bieten viel Spielraum für Perfektionisten, beispielsweise die i-Frames beim Rollen richtig zu treffen - also die Rolle so zu timen, dass gegnerische Attacken den Charakter nicht treffen.
Die Engine zu verstehen und den Tanz mit dem Spiel zu wagen, ist zudem eine spaßige Herausforderung, bei der man nebenbei ordentlich Skill tankt. Immerhin verinnerlicht man die Spielmechaniken beim Speedrun-Training irgendwann so sehr, dass sie in Muskelgedächtnis übergehen. Das lässt sich wiederum bei anderen Vertretern des Genres abrufen, wie beispielsweise Nioh oder Mortal Shell - die dann um einiges einfacher werden, alleine durch den immensen Wissensvorsprung. So kommt dann auch in Spielen, die eigentlich mit ihrem Schwierigkeitsgrad für Ohnmacht sorgen, wieder ein Gefühl von spielerischer Allmacht auf.
Zu guter Letzt hat es mich überrascht, in was für eine großartige Community man beim Speedrunning aufgenommen wird. Viele der Runner sind selbst aktiv auf Twitch oder Youtube, einige sogar so gut, dass sie beim jährlichen Charity-Run “Awesome Games Done Quick” ihren Parade-Run vorführen. Trotz des Wettkampfgedankens fußt die Running-Community im Kern auf Kooperation. Gemeinsam erschließt man neue Abkürzungen, tüftelt Upgrade-Pfade aus oder rennt einfach mal die fiesesten Ecken eines Spiels gemeinsam - eine willkommene Abwechslung in den unterkühlten Pfaden des Internets.
Nächste Challenge: Elden Ring!
Meine Begeisterung dürfte mich bereits verraten: Natürlich werde ich auch in Elden Ring versuchen, so flott wie möglich durchzukommen, Routen auszutüfteln und Upgradepfade zu testen. Mit der neuen Sprungfähigkeit und der viel größeren und weniger linearen Welt dürfte Elden Ring eine erfrischende Herausforderung werden - egal ob im Speedrun oder für die ersten paar Durchläufe ohne Zeitlimit. Ach übrigens, wusstet ihr, dass es sogar jetzt schon einen Speedrun des Network-Tests gibt?
Neues Spiel hin oder her, auch Elden Ring wird mich nicht davon abhalten, weiterhin an meinen verdammten zwei Stunden, fünfundfünfzig Minuten und sechzehn Sekunden zu feilen. Nach guten 2.000 Stunden Dark Souls 3 machen ein paar hundert weitere Stündchen den Kohl auch nicht mehr fett. Eins steht jedenfalls fest: Mein Jahr 2022 wird wieder im Zeichen From Softwares stehen, ganz gleich welches Spiel es am Ende wird.
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