Test - Rollerdrome : Test: Irre schnell, irre schwer, irre gut
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Roller Derby war in den Siebzigerjahren mal ein beliebter Sport, bei dem sich Frauen auf Rollschuhen innerhalb einer Arena die Birne einschlugen. Regeln? Ja, gab es, aber wen interessierten die schon, solange es nur heftig zuging. In den Siebzigern war die Gesellschaft eben simpler gestrickt als heute. Geht es allerdings nach der Vorstellung des Entwicklerstudios Roll7, dann lässt ein neuer Sport im Jahr 2030 Roller Derby wie einen Kindergeburtstag aussehen. In Rollerdrome geht es nämlich mit scharfer Munition zur Sache.
Ich habe nicht nachgezählt. Fünfzehn zu eins? Vielleicht sogar zwanzig zu eins? Irgendwo in dieser Größenordnung liegt meine Erfolgsrate beim Versuch, einen Arenakampf der dritten Stufe von Rollerdrome zu meistern. Mit anderen Worten: ich beiße mir regelmäßig die Zähne daran aus. Dieses Spiel ist einfach zu lernen, aber so schwer zu meistern, dass selbst Tony-Hawk-Profis ihre Felle davonschwimmen sehen.
Was allerdings auch daran liegt, dass dessen Fantasy-Liga nur peripher mit üblichem Extremsport auf Rollen zu tun hat. Man fährt zwar auf Rollschuhen über Rampen oder Quarterpipes, springt, dreht Pirouetten und sammelt unterwegs das ein oder andere Pickup auf, während komplexe Buttonkommandos Tricks auslösen - Grinds, Grabs und wie sie alle heißen. Aber nicht für eine Jury, die Eleganz und Vielfalt bewertet, sondern um Munition für Waffen zu verdienen, mit denen man sogenannte Haus-Spieler umlegt.
Rollschuhe und Waffen in einer Arena voller Rampen? Mord und Totschlag auf Kugellagern? Klingt nach einer hanebüchenen Zusammenstellung, gerade wenn man Roll7s bisheriges Portfolio kennt. Bei OlliOlli World wurde viel Geschick verlangt, aber nie Zielwasser. Hier muss man dagegen keine Stürze befürchten, denn die Hauptdarstellerin landet immer sicher auf den Rollen, aber sie sieht bei mangelnder Aufmerksamkeit schnell aus wie ein Nudelsieb. Also was zur Hölle soll das denn jetzt darstellen? Klare Antwort: Nichts Geringeres als ein neues Shooter-Untergenre, denn Rollerdrome stellt weniger Sportsimulation dar als Deathmatch Arena mit besonderem Beigeschmack. Wobei: selbst in einer typischen Deathmatch Arena kann man mal verschnaufen. Hier nicht.
Keine Atempause
Rollerdrome ist eines dieser Spiele, das so schnell, hektisch und actiongeladen ist, dass ein Ruhepuls von 120 zum Normalzustand wird. Eure Nieren werden eure Blutbahnen literweise mit Adrenalin fluten, weil jede einzelne Sekunde volle Aufmerksamkeit verlangt. Die Aufgabenstellung mag einfach klingen: Auf Rollschuhen in eine Arena fahren und unterwegs sämtliche Gegner abballern? Wär’ doch gelacht!
Nix da! Ihr sollt mit der Hauptdarstellerin Kara Hassan keine gegnerischen Rollschuhsportler umnieten, sondern gepanzerte Recken mit Schilden, wie sie sonst Polizisten auf Demos tragen, Scharfschützen, die sich auf hohen Kanten verschanzen, damit sie euch mit Laserstrahlen ungestört ein Loch in den Bauch brennen können. Sogar große Mechs mit Flammenwerfern gesellen sich später dazu. Buchstäblich im Sekundentakt zeigen euch Indikatoren, dass mehrere Schützen Kara aufs Korn nehmen, während längsseits zielsuchende Raketen angeflogen kommen und neue Widersacher aus dem Nichts auftauchen. Das Spielfeld mag aussehen wie eine Sportarena, aber in Wirklichkeit ist es ein Kriegsgebiet. Nervosität, Unsicherheit, Zweifel? Die hättet ihr mit Sicherheit, wenn euch bloß Zeit dafür bliebe. Ihr solltet am besten nicht einmal blinzeln. Jedenfalls nicht in den fortgeschrittenen Veranstaltungen.
Der Einstieg fühlt sich im Vergleich noch einigermaßen moderat an. Ihr erhaltet ein einfaches Pistolenpaar mit sechs Kugeln je Magazin, werdet in eine große Arena entlassen und ballert drauflos, wie ihr es von üblichen Shootern gewohnt seid. Mit dem Unterschied, dass ihr zum Nachladen Tricks auf den Rampen ausführen müsst. Je spektakulärer der Stunt, desto mehr Kugeln landen auf einmal im Magazin. Ihr genießt die nette Cel-Shading-Grafik und den pumpenden elektronischen Soundtrack, erste Erfolge stellen sich ein und ihr fühlt euch mächtig geschickt.
Bis zu dem Moment, an dem ihr feststellt, dass die nächste Waffe, die euch gewährt wird (eine Shotgun), ihre Munition aus demselben Versorgungsdepot bezieht wie die Pistolen. Sie kann zwar weniger Patronen fassen, aber dieser Unterschied wird einfach auf einen prozentualen Wert heruntergebrochen. Sind eure Pistolen also halb voll, dann habt ihr auch nur die Hälfte der möglichen Gewehrmunition auf der Tasche. Uff!
Stop – Bullet Time!
Ich seh’ euch schon abwinken: „Dann schieße ich eben nur mit einer Knarre.“ Pustekuchen, funktioniert nämlich höchstens in den ersten beiden Arenen bei ungepanzerten Widersachern. Die eiskalte Wahrheit ist, dass ihr für einzelne Gegner mehrmals die Waffe wechseln müsst, um effizient zu arbeiten. Es gibt zum Beispiel Gegner, die bauen nach dem ersten Treffer ein Energie-Schutzschild auf, das rund eine Sekunde für seine vollständige Aktivierung benötigt. Denen braucht ihr mit den Wasserpistolen gar nicht erst kommen. Am besten ihr brezelt denen eine Granate aus dem Raketenwerfer rein und wechselt sofort zur Shotgun, um noch mindestens einen Treffer nachzulegen.
Waffenwechsel und Schuss innerhalb von einer Sekunde, während der Schutzschild hochfährt? Ja, das geht, denn Kara verfügt über irre Reflexe, die ihr euch mithilfe eines Bullet-Time-Systems zunutze macht. Auf Knopfdruck verlangsamt ihr die Zeit für einen Augenblick, sodass ihr Übersicht bewahrt und punktgenau zielen könnt. Dieses Manöver nutzt ihr am laufenden Band, denn nur mithilfe der Bullet Time und einem flinken Ausweichmanöver entkommt ihr den meisten Scharfschützen. Reizt ihr deren Zielphase bis zum allerletzten Moment aus und verwendet das Ausweichmanöver erst kurz vor knapp, erhaltet ihr sogar etwas Lebensenergie zurück.
Was in einer Beschreibung wie dieser kompliziert klingt, ist eine Spielmechanik, die in Fleisch und Blut übergehen muss, denn die Lernkurve erweist sich als überaus steil. Schon in der dritten Arena der niedrigsten Ausscheidung muss jeder Sprung sitzen, damit ihr klaffenden Abgründen aus dem Weg geht. Die angesprochene Lernkurve ist aber nicht nur steil, sondern auch lang, denn es dauert eine ganze Weile, bis man alle Kniffe von Rollerdrome kennt.
Ein Eintrag in der Highscore-Liste setzt harte Arbeit voraus. Nur fortlaufende Kill-Kombos, die innerhalb weniger Sekunden vollzogen werden, erhöhen den Punktemultiplikator. Wollt ihr hohe Punktzahlen, dann müsst ihr die Arenen aus dem FF kennen, müsst verinnerlichen, wo welche Gegner in ihren Spawn-Wellen auftauchen und wie ihr euch ihnen nähert, ohne Schaden zu nehmen. Das buchstäbliche Jonglieren der vier Waffen wie auch das Ausführen von Trick-Kombos darf euch zu diesem Zeitpunkt keine Aufmerksamkeit mehr kosten.
Schwierig, aber auch höchst motivierend, weil berauschend. Kaum ein anderes Spiel mit Sportbezug liefert euch so viele Euphorieschübe am Stück, wenn der Plan mal aufgeht. Man muss sich nur gehörig reinfuchsen, was dem ein oder anderen Durchschnittsspieler womöglich nicht gelingt. In dem Fall helfen zuschaltbare Cheats (unendlich Lebenskraft, endlose Munition etc.),beim Freischalten sämtlicher Arenen. Da sie aber auch die Highscore-Listen deaktivieren, geht dabei jeglicher Reiz am Spiel verloren. Cheats sind nicht mehr als Trostpflaster für Leute, die zumindest die Tony-Hawk-typischen Pflichtaufgaben einer Arena in aller Ruhe komplettieren wollen. Etwa das Einsammeln der fünf verstreuten Pickup-Symbole, das Ausführen eines vorbestimmten Tricks an einer markierten Stelle oder das Umlegen gewisser Feinde im Rahmen eines Handicaps.
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Solltet ihr mit dieser krassen Herausforderung nicht zurechtkommen, so bleibt euch nicht viel in Rollerdrome. Es gibt zwar vor dem Betreten einiger Arenen kurze Passagen in Ego-Perspektive, in denen ihr anhand von Zeitungsartikeln und anderen Dokumenten von den Rahmenbedingungen des Sports erfahrt (beziehungsweise der mächtigen Firma, die den Sport leitet und durch den hohen Einfluss auf die Massen Lobbyarbeit betreibt), aber mehr als etwas Kontext könnt ihr nicht aus diesem Modus quetschen. Es gibt weder Management noch Training oder andere Sperenzchen.
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