Test - Life is Strange 2 : Test der kompletten Season
- PC
- PS4
- One
Fazit
Life is Strange 2 setzt zwar nicht die Geschichte des ersten Teils, wohl aber dessen Tradition fort. In der Geschichte über zwei Brüder, die sich auf der Flucht vor der Polizei auf einen Road-Trip durch die USA begeben und von denen der eine über übernatürliche Kräfte verfügt, ist einmal mehr das Phantastische zwar Auslöser für dramatische Entwicklungen, aber nie Mittelpunkt einer Handlung, die sich in erster Linie um die Beziehung zweier Menschen dreht.
Life is Strange 2 ist ein sensibles Coming-of-Age-Drama über die Tücken des Erwachsenwerdens, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, Verantwortung zu übernehmen, man aber im Herzen noch Kind ist, über die Unsicherheit über den zu nehmenden Weg, den das Leben vor einem ausbreitet, und das Gefühlschaos der ersten Liebe. Dontnod nimmt sich viel Zeit, um in die Gefühlswelt seiner Charaktere einzuführen und verblüfft einmal mehr mit einer für Videospiele außergewöhnlich behutsamen und zurückhaltenden Erzählweise, die der Darstellung von Lebenswirklichkeit deutlich mehr Zeit und Raum gewährt als dem abenteuerlichen Heckmeck. Auch die Entscheidungen, die sich im Endeffekt nur geringfügig aufs Geschehen auswirken, sind niemals auf die reine Handlung gerichtet, wie es etwa zuletzt in Man of Medan der Fall war, sondern immer auf das Verhältnis der Charaktere zueinander.
Vor allem aber ist Life is Strange 2 zwischen den Zeilen eine Abrechnung mit dem gegenwärtigen Amerika unter Donald Trump. Auf ihrer Reise durch den amerikanischen Nordwesten begegnen den beiden Brüdern die Menschen nur selten mit Mitgefühl und Hilfsbereitschaft, häufiger mit Anfeindungen, die sie allein aufgrund ihrer Herkunft des Stehlens und der Wegelagerei bezichtigen, sie erfahren Gewalt, Ausgrenzung und Fanatismus. In den gegenwärtigen USA, so könnte man Life is Strange 2 deuten, tobt im Verborgenen schon längst ein heimlicher Bürgerkrieg zwischen der politisch Rechten und Linken.
Gerne würde ich über den Mut der Entwickler jubeln, solcherlei Themen in einem Videospiel anzusprechen, und ihnen zu ihrer kompromisslosen Haltung gratulieren – doch das kann ich nur bedingt. Denn zu oberflächlich und plakativ fallen ihre Ausführungen aus. Statt Argumente gegeneinander antreten zu lassen, gehen lediglich Abziehbildchen aufeinander los. Wann immer das Spiel etwas zu sagen haben glaubt, sagt es das nicht bloß mit dem Holz- sondern gleich mit dem Presslufthammer. Wer einfach nur mit dem Finger auf Klischees zeigt, demaskiert nicht die Übeltäter, sondern gibt lediglich ihre Karikaturen der Lächerlichkeit preis.
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Leider ist dies ein Problem, das sich von vorne bis hinten durch Life is Strange 2 zieht: Vor allem die Nebenfiguren fallen sträflich eindimensional aus. Der Nachbarsjunge gibt sich gleich zur Begrüßung mit dem Stinkefinger als Störenfried zu erkennen und der üble Drogendealer schlägt halt gerne Frauen. Die guten Jungs hingegen streicheln süße Hunde. Life is Strange 2 ist in etwa so vielschichtig wie Klarsichtfolie. Die regelmäßigen Durchhänger in der etwas behäbig erzählten Handlung, fehlende emotionale Tiefe und das gekünstelte Arrangement der Szenen als Versuchsanordnung für den Thesenkatalog sorgen jedenfalls dafür, dass Life is Strange 2 zwar immer noch eine lohnenswerte Erfahrung darstellt, dabei aber nie die Sogwirkung des Vorgängers erreicht und letztlich seinen eigenen, zu hochgesteckten Ansprüchen nicht gerecht wird.
Überblick
Pro
- gefühlvolles Coming-of-Age-Drama
- Entscheidungen, die sich nicht auf die bloße Handlung, sondern auf die Charaktere auswirken
- klare politische Haltung
Contra
- viel Leerlauf
- platte Nebencharaktere
- plakativ belehrender Zeigefinger
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