Test - Harveys Neue Augen : Mehr Zynismus geht nicht
- PC
Während des Spielens fallen euch vielleicht ein paar Ungereimtheiten ins Auge, von denen ein Großteil zum Finale hin erklärt wird. Gleichzeitig ist eben genau dieses eine kleine Enttäuschung, und zwar nicht, weil es nicht gut durchdacht wäre, sondern weil es nicht die erwünschte Wirkung erzielt. Bis kurz vor Schluss ist die Erzählstruktur eigenwillig, jedoch stimmig. Dann springt sie plötzlich von einem Raum zum anderen und spuckt etwas lieblos die Schlusspointe aus.
Die abschließende Entscheidung, die euch als Spieler abverlangt wird, resultiert immerhin in einem von zwei möglichen Enden, die beide gleichermaßen zum krassen Humorverständnis von Harveys Neue Augen passen.
Die Kunst der Spiellogik
Was das Rätsel-Design anbelangt, so ist zu befürchten, dass sich hier einige Pedanten künstlich über die arg gestreckte Logik der Spielwelt aufregen werden. Unserer Meinung nach wäre dies alles andere als gerechtfertigt, denn Daedalic Entertainment präsentiert in Harveys Neue Augen einige der cleversten und lustigsten Puzzles der letzten fünfzehn Jahre. Einige davon sind so platt und vom Grundgedanken her dermaßen bescheuert, dass sie genau aus diesem Grunde funktionieren. Mehrfach kam uns beim Spielen der Gedanke: “Ne, das wäre doch völlig unlogisch, aber ich muss das jetzt einfach ausprobieren!“ Und das ganz spontan.
All dies erinnert entfernt an die Genialität des legendären Day of the Tentacle, allerdings wird die Qualität dieses unantastbaren Klassikers dann doch nicht ganz erreicht. Dazu ist das Design eine Spur zu linear und damit berechenbar. Andersherum dürfte es nur wenige Adventures geben, bei denen der Schreiber dieser Zeilen (ein mehr als versierter Genre-Fan) so selten stupides Trial & Error anwenden musste, um irgendwie weiterzukommen.
Hübsche Optik, starker Sound
Umrandet wird das Gesamtkunstwerk von einer ansprechenden Grafik, die von den bunten Hintergründen und den ansprechenden Charakterzeichnungen getragen wird. Dafür sind die Animationen etwas holprig, wenn auch um Welten besser als im in dieser Hinsicht arg gebeutelten Vorgänger Edna bricht aus.
Der Star der Präsentation ist natürlich die Sprachausgabe, die ebenfalls von einem besonderen Kniff profitiert: Lilli selbst redet so gut wie gar nicht und bringt kaum mehr als eine Silbe heraus. Dafür übernimmt ein sehr laberlastiger Erzähler den Großteil der Arbeit, indem er sämtliche eurer Aktionen kommentiert sowie alle Objektbeschreibungen spricht. Ohne seinen perfekt passenden Tonfall würde die Gratwanderung aus Zynismus, Ernsthaftigkeit und kindgerechter Darstellung wohl gar nicht funktionieren.
Darüber hinaus haut euch Oberin Ignatz mit ihrem übertrieben harschen Gehabe vor Lachen vom Stuhl, genau wie die völlig abgedrehte Kantinenfrau Doris, die euch allen Ernstes dafür tadelt, dass ihr als kleines Mädchen mit Messern spielt, und euch zum Tausch eine Motorsäge (!) andreht.
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