Test - Biomutant : Der erhoffte Open-World-Knaller?
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Vor vier Jahren begann die Geschichte von Biomutant mit der Vision, ein äußerst kreatives Action-Rollenspiel zu erschaffen. Es sollte frischen Wind ins Genre bringen und allen anderen Entwicklern zeigen, wie man ein unterhaltsames und motivierendes Abenteuer gestaltet. Schauen wir mal, ob das funktioniert hat ...
Ausgeflippt, innovativ, kunterbunt, lustig. Diese und andere Adjektive schossen uns jedes Mal durch den Kopf, wenn wir Biomutant sahen. Zwischen 2017 und 2019 erlebten wir drei Präsentationen auf der Gamescom, und immer verließen wir den Raum mit einem breiten Grinsen. Experiment 101, die Macher hinter Biomutant, schienen auf dem richtigen Weg zu sein. Verdächtig machten sie sich jedoch in der Folgezeit, denn in den vergangenen zwei Jahren gab es vom Spiel nur ein paar dürftige Videoschnipsel zu sehen. Da wird doch nichts mehr schiefgegangen sein – oder doch?
Alles beginnt mit der Charaktererstellung. Sechs tierische Spezies in fünf Klassen stehen bereit: Scharfschütze, Kommando, Psi-Freak, Saboteur und Wächter. Von unserer Wahl hängt ab, ob wir mit besseren Nahkampfwerten, mehr Agilität oder anderen Boni loslegen. Neben der Klasse entscheiden wir auch über das Aussehen unseres tierischen Kriegers: Wir wählen für unseren Scharfschützen eine Art Fuchs mit Augenklappe, der noch eine andere Fellfarbe verpasst bekommt. Dann beginnt das Abenteuer.
Hauptsache durchgedreht!
Vom ersten Moment an fasziniert das Design von Biomutant. Obwohl es sich um eine postapokalyptische Welt handelt, dominieren knallige Farben und witzige Charaktere. Mutierte Tiere haben den Menschen schon lange den Rang abgelaufen. Überall treffen wir auf zivilisierte Pandas, Bären, Dachse, Katzen und andere Wesen, die in Dörfern zusammenleben und alltäglichen Arbeiten nachgehen.
Außerhalb solcher Siedlungen treffen wir jedoch auf die richtig ausgeflippten Kreaturen. Flinke Wiesel in Samurai-Rüstungen und Wombats mit riesigen Zähnen sind noch relativ normal. Regelrecht bekloppt wird es, wenn Dinosaurier in Schlafanzügen, Trolle im Footballspieler-Dress oder lebendig gewordene Baumstämme angreifen. So unterschiedlich die Kreaturen aussehen, so eigen sind ihre Kampfstile: Da wird gerollt, gespuckt, geschossen, gesprungen und gekratzt, was der mutierte Körper hergibt.
Glücklicherweise hat unser pelziger Krieger mehr als genug Möglichkeiten sich zu wehren. Denn in Sachen Charakterentwicklung stehen viele Wege offen. Die anfangs gewählte Klasse ist nämlich nur eine grobe Richtung, die wir jederzeit ändern können. So formen wir unseren Scharfschützen nach und nach zu einem Allrounder, indem wir die entsprechenden Attribute stärken und passende Fähigkeiten freischalten. Dazu kommen besondere Angriffe mit Feuer, Eis oder Gift, die wir über Schnellwahltasten abrufen. Aber auch in der Defensive ist unser Mutant dank Blocks und flinker Ausweichsprünge gut aufgestellt.
Das Waffen- und Rüstungssystem bietet ebenfalls viele Freiheiten. Wir basteln aus gefundenem Schrott wilde Kreationen zusammen, die von Großschwertern über Äxte bis hin zu Pistolen und Automatikgewehren reichen. Da verbinden sich Kinderspielzeug, Holzreste, Schrauben und Ofenrohr zu krassen Geräten, denen wir sogar Effekte wie Säure oder Eis verpassen dürfen. Finden wir fertige Waffen, können wir sie zerlegen oder mit eigenen Teilen nachträglich verändern. Bei den Klamotten geht es genauso kreativ zu: Allerlei Hüte, Hemden und Hosen können ausgerüstet und angepasst werden. Und wenn das gefundene Zeug nicht ausreicht, hilft vielleicht ein Besuch bei einem Händler.
Knallbunte Rundreise
Relativ offen verläuft auch die Geschichte von Biomutant. Alles dreht sich um den Baum des Lebens, der im Mittelpunkt der Welt steht. Das üppige Gewächs ist jedoch in Gefahr: Vier riesige Monster, die sogenannten Weltenfresser, nagen an seinen Wurzeln. Nun leben sechs Stämme in der Welt, von denen einige den Baum retten und andere ihn zerstören wollen. Wir schließen uns zu Beginn des Spiels einem Stamm an und kämpfen fortan gegen die anderen Gruppen. Dazu nehmen wir ihre Außenposten ein, bis sich das Oberhaupt des jeweiligen Stammes zur Endabrechnung stellt. Im Anschluss daran erhalten wir optionale Waffen wie einen Bumerang oder einen Greifhaken, der Gegner heranzieht.
Auch sonst sind unsere Entscheidungen gefragt. Verhalten wir uns freundlich und helfen den Bewohnern bei ihren Problemen, steigern wir die helle Aura. Pfeifen wir auf Nächstenliebe und geben den Egoisten, stärkt das die dunkle Aura. An Gelegenheiten für gute oder schlechte Taten mangelt es im Laufe des Abenteuers nicht. Überall in der Spielwelt warten Quests, bei denen es ums Kämpfen, Sammeln oder Erkunden geht.
Dabei führt uns Biomutant durch verschiedene Gebiete wie Graslandschaft, Bergregion, Sumpf und Einöde. Alles ist geprägt von den Überresten der menschlichen Zivilisation: Wir passieren alte Highways, schlagen uns durch Tunnelsysteme und Abwasserkanäle oder suchen in verfallenen Häusern nach brauchbaren Gegenständen. In einigen Ecken herrschen extreme Temperaturen oder eine starke Strahlung vor, die nach einer entsprechenden Resistenz unseres Protagonisten verlangen. Damit wir nicht alles zu Fuß ablaufen müssen, rufen wir jederzeit Reittiere oder mechanische Transportmittel wie einen Wasserflitzer herbei.
Mehr Schein als Sein
So gut verrücktes Design, freie Charakterentwicklung und Aura-System in der Theorie klingen, so enttäuschend ist alles in der Praxis. Es fängt bei der Grafik an. Grundsätzlich läuft der Titel auf der PS4 Pro und der PS5 mit 60 Bildern pro Sekunde und einer dynamischen 1080p- beziehungsweise 4K-Auflösung. Die ersten 15 Stunden auf der PS5 sind allerdings von heftigem Ruckeln und ständigen Abstürzen gezeichnet, die an Schnellreisepunkten, in Kämpfen und bei einem Boss auftreten. Glücklicherweise behebt ein Patch die dauernden Abstürze und stabilisiert die Bildrate. Auf der PS4 Pro läuft zwar alles deutlich geschmeidiger und ohne Crashs, doch auch hier sind heftige Pop-ups, detailarme Texturen, Clipping und ungelenke Animationen an der Tagesordnung.
In den Kämpfen nerven nicht nur häufige Ruckler, sondern auch eine unsaubere Steuerung und die schlechte Balance. Im Nahkampf können wir Gegner nicht frei angreifen, sondern müssen mit einer leichten automatischen Aufschaltung leben. Dadurch gehen Angriffe häufig ins Leere, weil sich ein Feind zwar im Visier, aber außerhalb unserer Reichweite befindet. Zugleich erkennen wir feindliche Attacken im Gewusel schlecht, sodass gezielte Konter und Ausweichmanöver schwerfallen.
Demgegenüber steht der sehr starke Fernkampf. Dank unbegrenzter Munition gehen wir auf Abstand und halten entspannt drauf. Insbesondere Gewehre verfügen über einen enormen Bums, dem auch dicke Brocken wenig entgegenzusetzen haben. Selbst auf dem höchsten der drei Schwierigkeitsgrade funktioniert die simple Baller-Taktik sehr gut. Leider ist sie auch frei von Spaß, denn im Kern läuft damit jede Auseinandersetzung gleich trocken ab.
Geradezu erschreckend ideenlos geraten die Quests. Hier geht es einzig und allein um das stumpfe Abarbeiten von Kampf- oder Sammelaufträgen. Statt kleine Geschichten zu erzählen oder ein paar Überraschungen einzubauen, spult Biomutant das immer gleiche Programm ab: Quest annehmen, erledigen, Belohnung abholen. Selbst potenziell witzige Momente, beispielsweise die Suche nach einem besonderen Kothaufen, entwickeln aufgrund der starren Struktur keinerlei Charme.
In Sachen Textmenge schießt das Spiel dafür übers Ziel hinaus. In den Dialogen geben die Charaktere ein Gebrabbel von sich, das ein ordentlicher deutscher Sprecher übersetzt. Es ist jedoch vollgepackt mit pseudo-philosophischen Sprüchen und kitschigen Lebensweisheiten, die weder etwas zum aktuellen Auftrag noch zur allgemeinen Story beitragen.
Wenn wir Antworten auswählen können, dann meist im Zusammenhang mit dem Aura-System. Zunächst entscheiden wir uns für die helle Seite und geben den Samariter, der immer freundlich ist und allen hilft. Weil wir keinerlei Auswirkungen bemerken, entscheiden wir uns später für die dunkle Seite, aber das Ergebnis bleibt gleich: Weder Spielwelt noch Charaktere zeigen irgendeine Reaktion oder Veränderung. Erst am Ende des Spiels wird unsere Aura in einer kurzen Sequenz abgefrühstückt.
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