Test - Another Code: Recollection : Test: Die beiden Mystery-Adventure kommen endlich auf Switch
- NSw
Au weia, das hätte ins Auge gehen können. Man stelle sich vor, die Macher von Another Code: Recollection hätten die beiden enthaltenen Nintendo-DS- und Wii-Originale schnörkellos auf die Switch portiert, mit all ihren fast schon altertümlichen Designentscheidungen für Kamera, Steuerung und Spielablauf. Das wäre ein Cringe-Fest vom Feinsten gewesen. Zum Glück steckt eine ganze Menge Arbeit in der Neuauflage, die diesen Kelch an alten und neuen Fans der beiden Adventure-Klassiker vorbeigehen lässt.
Für einen Teenager muss Ashley eine Menge durchmachen. Die fast Vierzehnjährige wähnt ihren Vater ermordet, wird dann aber nach über zehn Jahren doch aus heiterem Himmel von ihm auf eine Insel eingeladen. Ein Schock mit nicht endenden Konsequenzen, denn Papa lässt sich trotz der Einladung nicht blicken, und ihre Tante, bei der sie aufgewachsen ist, verschwindet auch noch. Was ist hier nur los? Und was hat es mit diesem Geist namens D auf sich, den nur Ashley sehen kann?
Wir verraten euch nichts. Ihr müsst euch schon selbst durch die mannigfaltigen Puzzles und Rätsel wuseln, die euch die beiden enthaltenen Abenteuer dieser Kompilation auferlegen. Das meiste davon fällt unter die Kategorie Point-and-Click-Knobelei, auch wenn die ursprüngliche Stylus- und Wiimote-Steuerung nur entfernt an jene PC-Ära erinnert, die den Begriff prägte.
Ihr werdet oft mithilfe eines mysteriösen Geräts, das der Switch ähnlich sieht, Hinweise suchen, die euch verraten, wie ihr Objekte dreht, Teile eines Türschlosses anordnet oder den Weg durch ein Spielzeug-Labyrinth findet, was in vielen Fällen eine Handhabung der Gyro-Sensoren zufolge hat. Allerdings wurden nicht alle Rätsel eins zu eins übernommen, rein technisch wäre das gar nicht möglich gewesen, und so kamen neue hinzu, welche die Möglichkeiten der Switch einbeziehen.
Versucht gar nicht erst, Controller von Drittherstellern zu verwenden. Mit denen könnt ihr gerade mal Ashley selbst umherdirigieren. Selbst mit Nintendos offiziellem Pro Controller wurden wir nicht so recht warm. Um ehrlich zu sein, hatten wir am meisten Spaß im mobilen Handheld-Betrieb der Switch, beziehungsweise mit den abgetrennten Joycons.
So richtig schwer ist am Anfang keine der Aufgaben, aber darum geht es bei Another Code auch gar nicht. Die beiden Klassiker bewegen sich irgendwo zwischen Mystik-Abenteuer und Graphic-Novel, ohne einen Anker setzen zu wollen. Sie schwimmen bewusst zwischen den Genre-Grenzen, damit sie euch mal mehr in die Handlung hineinziehen können und ein andermal mehr zu den Puzzles dirigieren, die graduell schwieriger werden.
Akte X für Young Adults
Allem übergeordnet lenkt euch die Handlung, welche von einer gehörigen Portion Fantasy-Mysterium lebt. Das Spiel zehrt von seiner Atmosphäre, die es erzeugt, indem es euch im Argen darüber lässt, wie viel von der Geschichte realistisch und wie viel reiner Fantasy-Humbug sein soll.
Nun ja, die Anwesenheit des oben genannten Geistes namens D sollte genügen, um der Fantasy-Richtung den Zuschlag zu geben, aber Another Code versucht nicht, euch dieses Stilmittel mit der Bratpfanne einzutrichtern. D, der sich nicht an sein früheres Leben erinnern kann, ist einerseits Teil des Mysteriums, andererseits interessanter Sidekick mit der Aufgabe, euch eine zweite Perspektive zu vermitteln. Das Endergebnis dieser Zusammenstellung könnte man als unbeschwerte Akte-X-Episode für Teenager und Anime-Fans beschreiben.
Löblich ist dabei, dass weder Ansicht noch Gesprächsverlauf hundertprozentig den DS- und Wii-Vorlagen entsprechen. Schon gar nicht auf grafischer Seite. Jede einzelne Szene und jede noch so nebensächliche Unterhaltung wurde durch neue Kameraperspektiven in einer ganz neuen optischen Interpretation eingefangen. Von den einstigen 2D-Bildchen für Dialoge fehlt zum Beispiel jede Spur. An ihre Stelle tritt eine einfache, aber stilistisch konsequente 3D-Grafik.
Selbst der Wortlaut aller Gespräche, der nun durchweg in englischer (oder wahlweise japanischer) Sprachausgabe vermittelt wird, wurde leicht angepasst. Das geht zwar selten über eine leicht veränderte Satzstellung oder eine direkter betonte Aussage hinaus, zeugt aber von einer bedachten Umsetzung, die auch kleine Schwächen auf Seiten der Handlung ausmerzt.
Sollten euch etliche Gespräche, Schrifthinweise und andere Indizien nicht auf den Trichter bringen, wie es weitergeht, so helfen euch zwei neue Funktionen, die ihr im Optionsmenü nach Gutdünken zuschalten könnt. Das erste weist euch den Weg, das andere wirft zusätzliche Hinweise für die Rätsel ein. So wird garantiert, dass Veteranen wie auch Neulinge nirgends steckenbleiben.
Schrammen bei der Switch-Konvertierung
Ganz ohne Schrammen und Beulen gelang die Konversion von den alten Systemen allerdings nicht. Zwischen dem permanenten Gesäusel und Anime-typischen Gestöhne der (fast) vierzehnjährigen Hauptdarstellerin Ashley, das dem Ausdruck ihrer Gefühlslage dienen soll, sowie dem modernen, aber auffällig detailarmen grafischen Anstrich manifestiert sich ein Gameplay-Kaugummi, der sich gewaltig zieht. In einer Seelenruhe, die man heutzutage kaum noch für möglich hält, halten alle Charaktere für Denkpausen inne, während man manchmal „jetzt spuck es schon aus“ brüllen möchte.
Dasselbe gilt für Übergänge zwischen Spielszenen, etwa wenn man eine Treppe hinaufläuft oder durch eine Tür in eine neue Umgebung schreitet. Solltet ihr es unterwegs eilig haben oder auf eure Umgebung achten müssen, werdet ihr mit Another Code: Recollection also nicht glücklich. Ihr braucht dafür die Muße eines Sonntags auf der Couch.
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Das mag erstmal wenig spannend klingen, sollte euch aber nicht von einem Kauf abhalten, wenn ihr auf Adventures steht, denn der langsame Aufbau ist eine Form des erzählerischen Durchatmens, das der Hintergrundgeschichte dienlich ist. Wenn ihr euch hastig durcharbeitet und in einem Mordstempo sämtliche Gespräche durchklickt, verkennt ihr womöglich das Stimmungsbild der Welt, die Another Code sorgsam aufbaut. In dem Fall gebt ihr euch selbst weniger Rückhalt, auf die Storywendungen zu reagieren, die mitunter mit euren Gefühlen spielen.
Dem zweiten Teil namens Another Code R, der damals für Wii erschien, gelingt das zwar nicht ganz so gut wie dem Erstling auf dem DS-Handheld, aber als Gesamtwerk verstanden wird euch das wenig stören, sofern ihr euch auf ein Erlebnis mit niedrigem Puls einlassen könnt. Genau aus diesem Grund sind die Puzzles weniger als Wegblockade gedacht, auch wenn ihr euch manchmal die Zähne an ihnen ausbeißt. Sie sollen Unterhaltungs-Einwürfe sein, die dem Storytelling etwas mehr Luft und Abwechslung verschaffen. Dass ihr dabei eine Menge Gegenstände im Inventar anhäuft, mit denen ihr auf den ersten Blick nichts anfangen könnt, vertieft höchstens eure Neugierde und zwingt euch geradezu, jeden Stein umzudrehen.
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