Test - The Wolf Among Us: Episode 1 - Faith : Düsterer Märchen-Thriller
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Telltale Games hat über die Jahre eine beeindruckende Entwicklung hingelegt und sich mit Episoden-Adventures eine interessante Marktlücke gesucht: vom ordentlichen Bone über die Sam-&-Max-Abenteuer bis hin zum grandiosen The Walking Dead. Die Geschichte rund um Lee und Clementine wurde, gestützt durch den Erfolg der TV-Serie, zum bisher größten Hit des Studios. Nun wagt man sich mit The Wolf Among Us in eher unbekannte Regionen, was die Vorlage angeht, bleibt sich aber spielerisch treu.
The Wolf Among Us basiert auf der Comic-Reihe "Fables" von DC und Vertigo und versetzt euch in ein ziemlich ungewöhnliches Szenario. Stellt euch vor, dass etliche Gestalten, die wir nur aus Märchen kennen, aus ihrem Reich vertrieben wurden und jetzt magisch getarnt in unserer realen Welt leben. Wer nun aber putzige Märchengestalten im Disney-Stil erwartet, der liegt völlig falsch, denn diese Märchengestalten wirken eher wie ganz normale Menschen. Sie leben nicht selten am Rande des Existenzminimums, nur halt mit einem Geheimnis, getarnt durch die teuer erkaufte magische Substanz Glamour.
Bizarrer Comic-Film-Noir
Praktischerweise ist die erste Episode so gestaltet, dass ihr im Verlauf der Dialoge prima den Einstieg in dieses Universum findet, ohne Vorkenntnisse der Comic-Reihe haben zu müssen. Als Spieler übernehmt ihr die Rolle von Bigby Wolf – ihr ahnt es schon: der große, böse Wolf aus dem Märchen. Der ist auch immer noch groß und böse, arbeitet aber als Sheriff und kümmert sich darum, dass die Fables sich nicht gegenseitig an die Gurgel gehen und ihre wahre Gestalt vor den menschlichen Augen verborgen bleibt. Und wenn er nicht damit beschäftigt ist, hört er sich in seinem Apartment die Vorwürfe von Schwein Colin an, die sich um ein gewisses zerstörtes Haus drehen. Ihr wisst schon.
Als ihr von Mr. Toad zu einer Ruhestörung gerufen werdet, bildet das den Auftakt zu einem bizarren Thriller, der die märchenhaften Elemente geschickt mit einer dicken Portion Film noir im Comic-Stil vermischt. Bigby trifft dabei auf einen alten Rivalen und eine junge Schönheit und muss feststellen, dass Fables ganz menschliche Probleme haben. So hat Toad zu wenig Geld, um sich Glamour zu kaufen, und eine junge Fable arbeitet als Prostituierte. Bigby bekommt aber kurz danach ein unmissverständliches Zeichen, dass es noch weitaus schlimmere, tödliche Probleme gibt. Unterstützt von der hübschen Snow White, für die Bigby offenbar eine Menge übrig hat, versucht er nun, die Identität eines Mörders aufzudecken. Ein Abenteuer, das mit dieser etwa zwei Stunden langen Episode beginnt und insgesamt fünf Episoden umfassen wird.
Ähnlichkeiten sind beabsichtigt
Hinsichtlich der Spielmechanik orientiert sich Telltale Games am vorherigen Erfolgstitel The Walking Dead. So sucht ihr die Umgebung nach Hotspots ab, mit denen ihr interagieren könnt. Ihr führt eine ganze Reihe hochklassig vertonter Dialoge, in denen ihr einige Sekunden Zeit habt, eine aus mehreren Antworten zu wählen. Das hat Konsequenzen, denn die Charaktere „merken“ sich eure Antworten und Aktionen. Wie diese Konsequenzen letztendlich aussehen, bleibt noch abzuwarten, denn die erste Episode ist quasi nur eine Einleitung. Direkte Konsequenzen gibt es allerdings auch, etwa indem ein Gespräch mitunter kippt und es zum Kampf kommt.
Hier werden dieselben Mechaniken wie beim Zombie-Abenteuer engesetzt. Ihr müsst zum richtigen Zeitpunkt vorgegebene Tasten drücken oder Sticks bewegen, um Angriffe zu parieren, auszuweichen oder euch zu befreien. Oder aber einen Cursor auf einen Hotspot lenken, um dann eine Taste zu drücken. Leider ist die Spielmechanik genauso unausgegoren wie bei The Walking Dead. Nicht immer ist sofort klar, was zu tun ist. Nicht immer reagieren die Tasten akkurat. Nicht immer habt ihr überhaupt genug Zeit, ein Manöver erfolgreich zu beenden. Als Folge stirbt Bigby ein ums andere Mal, allerdings sind die Rücksetzpunkte sehr fair gewählt und ihr müsst nicht gleich ganze Action-Sequenzen von Anfang an wiederholen.
Aber auch positive Aspekte wurden vom Erfolgstitel übernommen. Erneut schafft es Telltale, ein ungewöhnliches und sehr erwachsenes Szenario so glaubwürdig umzusetzen, dass es einen nach kurzer Eingewöhnung packt und fesselt. Die Dialoge sind toll geschrieben und noch besser gesprochen, die Charaktere brennen sich ins Gedächtnis und auch die Emotionen kommen nicht zu kurz, mal mit einem Schmunzeln, mal mit einem Tritt direkt in die Weichteile. An Abwechslung mangelt es ebenfalls nicht und man darf sehr gespannt sein, wie sich die vielen Entscheidungen im späteren Spiel auswirken. Einziger Knackpunkt ist vielleicht, dass das Szenario von The Wolf Among Us weniger nachvollziehbar ist als das von The Walking Dead und den Spieler schlussendlich emotional weniger beeindrucken wird.
Starke Stimmung, schwache Technik
Grafisch gibt es viele Ähnlichkeiten mit dem Telltale-Meisterwerk, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Trotz fast schon minimalistischer Comic-Grafik schafft Telltale es gut, die Mimik der Figuren einzusetzen, um Emotionen zu vermitteln, und der Grafikstil insgesamt gefällt sehr gut. Die hervorragende Farbgestaltung trägt immens zur Atmosphäre des Spiels bei. Hinzu kommt eine sehr dezente Untermalung durch die ruhige Hintergrundmusik. Daraus ergibt sich ein angenehm unaufgeregtes Spielerlebnis mit einer fast schon melancholischen Stimmung, was wiederum die actionreichen Quick-Time-Sequenzen umso aufregender werden lässt.
Weniger schön ist, dass die Konsolenumsetzung technisch viele Mankos hat, vor allem in Form von starken Rucklern nach den recht langen Ladezeiten und nach Zwischensequenzen. Ein altbekanntes Problem der Telltale-Titel, das die Entwickler offenbar immer noch nicht im Griff haben. Wer die Wahl hat, sollte daher zur PC-Version greifen, die auf Steam erhältlich ist. Die läuft nämlich rund und flüssig.
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