Preview - RiME : Mit Herz, Hirn und Seele gemacht
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Ein noch weitgehend unbekanntes Spiel zu beschreiben, funktioniert am einfachsten durch einen Vergleich mit ähnlichen Spielen. „Dieses Spiel könnte euch gefallen, wenn ihr Lirumlarum und Löffelstiel mochtet“, ist nicht zuletzt deswegen eine häufig bemühte Fazitfloskel. Ico, Uncharted, The Last Guardian, Journey, Tomb Raider, Chihiros Reise ins Zauberland, Shadow of the Colossus … Na? Habt ihr schon eine ungefähre Vorstellung davon, was sich hinter Rime verbergen könnte? Auf jeden Fall etwas, das ihr auf dem Schirm haben solltet.
Ein kleiner Junge mit einem wehenden roten Umhang erwacht an einem Strand, in einer Welt, in deren verwitterte Architektur aus Mauern und Türmen im Laufe der Jahrhunderte ihre Geheimnisse gesickert scheinen … Der Anfang von Rime erweckte im Trailer bereits das Gefühl, als wolle Entwickler Tequila Works die Geschichte von Ico dort weitererzählen, wo sie vor über 15 Jahren aufgehört hat.
Vom ersten Moment an ico-nisch
Das große Vorbild ist allerorts offensichtlich: im Look des Hauptcharakters, dem Stil und der Atmosphäre dieser verwunschenen Welt, die wie mit einem Zauber belegt scheint und ihre Geheimnisse darunter hütet wie einen kostbaren Schatz, und natürlich im pulsierenden Wechselspiel aus Erkundung und cleveren Rätseln. Aber zum Glück ohne die nervigen Kämpfe.
Dass Rime von Anfang an nicht wie eine bloße Kopie wirkt, liegt unter anderem daran, dass es seinem grundlegenden Spielprinzip etliche Elemente hinzufügt, die es sich wiederum bei anderen Spielen abgeguckt hat, die die Ico-Formel in der Zwischenzeit ihrerseits abgewandelt und verfeinert haben. In der Anfangsphase mutet Rime streckenweise wie eine Indie-Hommage an Uncharted an, nur ohne das Geballer.
Wir hangeln uns an winzigen Felsvorsprüngen entlang, erklimmen himmelhohe Türme an Kanten und Ranken und zwischendurch lösen wir Rätsel, in denen die Logik hinter antiken Mechanismen durchschaut werden muss. Ein bisschen also auch wie in den ganz alten Tomb-Raider-Episoden. Auf keinen Fall wie in Myst, mit dem das Spiel hin und wieder fälschlicherweise auch schon verglichen wurde.
Kisten verschieben, um zuvor unerreichbare Plattformen zu erklimmen, Schalter bedienen, um verschlossene Türen zu öffnen, auf Bodenplatten treten, um einen Mechanismus in Gang zu bringen – all das kennt man. Doch Rime gelingt es, diese x-mal gesehene Ursuppe im Minutentakt mit neuen Zutaten abzuschmecken, um daraus etwas ganz Eigenes und überaus Köstliches zu kreieren.
Die Poesie eines Rätsels
In einer Szene drehen wir an einer Sonnenuhr das komplette Himmelszelt, als wäre es lediglich der Zeiger auf einer Uhr. Sonne, Mond und Sterne, Tag und Nacht sausen so über uns hinweg und damit auch Licht und Schatten, die sie auf uns werfen und die wir in einer bestimmten Konstellation ausrichten müssen, um ein Wunder zu vollbringen. Tequila Works erfindet für Rime nicht bloß Rätsel, sondern überzieht sie auch mit einer traumwandlerischen Schönheit, beinahe schon einer Poesie, die ihnen innewohnt.
Da ist es kein Wunder, dass als weitere Inspirationsquelle für den künstlerischen Stil von Rime immer wieder die Filme von Studio Ghibli durchschimmern. Die stummen, nebulösen Schemen, die die Insel heimsuchen, wirken in ihrer Anmutung wie die Geistergestalten in Chihiros Reise ins Zauberland oder Prinzessin Mononoke und verhalten sich ähnlich rätselhaft. In welcher Beziehung sie zu den mysteriösen Geschehnissen stehen, ob sie gut oder böse sind und warum sie beim Anblick des kindlichen Helden eher verängstigt als furchterregend erscheinen, treibt die Neugier des Spielers und die Story von Rime an, die sich, wie in dieserart Märchen häufig, mehr durch Andeutungen und Fantasie erschließt als durch konventionelle Erzählmethoden.
Dialoge gibt es jedenfalls in Rime keine. Trotzdem spielt die Stimme im wahrsten Wortsinne eine zentrale Rolle. Mit ihr versetzt der Protagonist Jadeskulpturen in Schwingungen und entlockt ihnen so ihren Zauber, aktiviert dadurch beispielsweise Türen oder entflammt Fackeln. Mal müssen wir vorher eine Kristallkugel in Position schieben, um die Schallwellen wie ein WLAN-Repeater zu verstärken, um sie an Orte zu übertragen, an die sie vorher nicht gelangten. Mal scheuchen wir dadurch ein Schwein vor uns her, das, durch ein Dornengestrüpp gejagt, den Weg für uns freitrampelt, der vorher nicht begehbar war.
Eine Vielzahl der Rätsel basiert auf dem Einsatz dieser Mechanik, nie aber ähneln sie einander wie ein Kaninchen einem Hasen. Rime geht bei jedem einzelnen Rätsel neue Wege. Wie Portal 2 – möglicherweise ein weiteres, weniger offensichtliches Vorbild – fügt es den bestehenden unablässig neue Ideen hinzu, variiert und steigert sie in ihrer Komplexität und kurz bevor sich ein Gefühl der Sättigung einstellen kann, verblüffen die Entwickler mit dem nächsten hübschen Einfall.
So müssen wir in einer Szene, statt einen Schlüssel ins Schloss zu stecken, die Perspektive ändern, um den Schlüssel glauben zu machen, dass er schon längst drinsteckt. Auf der Flucht vor einem garstigen Raubvogel hasten wir von Unterstand zu Unterstand, um nicht in seine Fänge zu geraten. Besiegt wird er übrigens, indem wir eine riesige Windmühle in Gang bringen, die durch das Drehen ihrer Flügel ein Unwetter aufwirbelt, dessen Blitze den Vogel verjagen. Rime ist eben wie ein gutes Kinderbuch: übersprudelnd vor Fantasie.
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